Anna Höfling

Marlene Lahmer

Katharina Hoffmann

Stories of Traumatic Pasts

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Ausstellungsansicht Stories of Traumatic Pasts: Counter-Archives for Future Memories, Weltmuseum Wien, Wien, 2020, Foto Credits: Katharina Hoffmann

Anna Höfling

[…] Als ich damals vorbeiging, sah ich von weitem viele Leute stehen, lachend und grölend, das Ganze war damals für viele Wiener ein Riesenspaß. Ich sah einige alte, bärtige Männer, Juden natürlich, kniend, mit Kübeln und Fetzen, die von nazistischen Rüpeln, jung und alt, angetrieben wurden, die Straße von politischen Schreibereien der Vaterländischen Front und anderen Antinazischriften aus den Tagen vor dem Umbruch zu reinigen. […] „Bist a Jud?“ Ich antwortete mit Ja. Also brachte man mich auf die andere Seite, schon hatte ich auch einen Kübel, Fetzen und Bürste in der Hand und durfte die Straße reinigen. […] Wir Juden haben damals unter vielen Tritten die Straßen Wiens gut gereinigt.“  [1]

– Harry Weber, Fotograf und Zeitzeuge (1921-2007)

Die „Reibpartien“, die sich in der Zeit nach dem sogenannten „Anschluss“ 1938 in Wien ereigneten und eine Form der erniedrigenden, grausamen Gewalt gegen Juden und Jüdinnen im öffentlichen Raum darstellten, kommen in der Ausstellung Stories of Traumatic Pasts – Counter Archives for Future Memories im Weltmuseum Wien zur Sprache. [2] Bisher habe ich mich dagegen gesträubt, diese Institution zu besuchen, die nicht nur den Imperial Shop Vienna beherbergt – wie absurd! –, sondern deren Highlight ebenso ein aztekischer Federkopfschmuck ist, dessen Rückgabe nach Mexiko weiterhin vielfach gefordert wird. [3] Nun habe ich das Museum für diese Ausstellung doch betreten. Hier rücken der belgische Kolonialismus im Kongo, Antisemitismus in Österreich und Turbo-Nationalismus im ehemaligen Jugoslawien in den Fokus. Obwohl künstlerisch aufbereitet, scheint es sich um wissenschaftliche Fallstudien zu handeln, die individuell Betroffene Geschichten (stories) von Gewalt und Genozid erzählen lassen, welche sich zu Geschichten (histories) zusammenfügen. Ihre Stimmen sind zu hören und zu lesen.

Die Worte Schrubben und Scheuern klingen in meinem Kopf nach gezielter Aggression, die eine schmerzhafte Wunde auf der Haut zurücklässt. In Joëlle Sambi Nzebas Videoinstallation C’est beau (It’s Beautiful) von 2020, die ebenfalls ihren Platz in der Ausstellung findet, bekommt das Wort „to scrub“ jedoch eine heilende Bedeutung:

„It’s beautiful when a city cleans, polishes, scrubs, adorns, renovates and builds. It’s beautiful when a country questions, interrogates, decentres, deconstructs and reconciles.”

Ich werde hier von einer älteren Kongolesin durch Brüssel geführt und auf Kolonialisten aufmerksam gemacht, die in Form von Statuen oder Straßennamen im öffentlichen Raum präsent sind. Während sie an einem grauen Tag bei Regen durch die Stadt spaziert, lobt sie das belgische Wetter, was zuerst ironisch klingt. Doch der Regen trägt hier, genau wie das Schrubben, eine reinigende Symbolik in sich. Sie besucht auch den Platz, der nach Patrice Lumumba, dem ersten Premierminister des unabhängigen Kongo, benannt ist. Die Benennung von öffentlichen Orten ist immer Teil der Erinnerungskultur – nur ist zu entscheiden, an wen oder was man sich erinnern möchte, wem dieser Raum eingeräumt wird. In Wien steht die Figur des Antisemiten Karl Lueger weiterhin stolz erhöht auf dem gleichnamigen Platz am Ring. Kunstinterventionen, die darauf darauf aufmerksam machen sollten, wurden im Oktober 2020 von Rechtsextremen zerstört. Rund um dieses Ereignis fanden Schandwachen von Künstler*innen und Gruppierungen wie der Jüdischen Hochschüler*innenschaft vor Ort statt. Diese Woche stellten die Grünen der Statue ein Mädchen im roten Mantel gegenüber – als Puppe in Referenz auf den Film Schindlers Liste. Auf die geforderte Umgestaltung des Denkmals wird jedoch weiterhin gewartet. [4] 

Die Ausstellung im Weltmuseum Wien verfolgt einen Bildungsauftrag, in dessen Rahmen Kunst Geschichte anders erzählen kann, indem Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und besonders Betroffene zu Wort kommen. Dabei bleiben stets aktuelle Umstände als Motivation sichtbar. So findet sich zum Beispiel in der Installation zu den „Reibpartien” von Martin Krenn der erste Satz des österreichischen Regierungsprogramms von 2020 wieder: „Österreich ist ein wunderbares Land”.
Das Lernen muss zum bewussten Verlernen führen, um gegen das Vergessen anzukämpfen.

[1] Dieter J. Hecht, Eleonore Lappin-Eppel, Michaela Raggam-Blesch, Topographie der Shoah. Gedächtnisorte des zerstörten jüdischen Wien, Wien 2017, S. 23.

[2] Die Begriffe “Anschluss” und “Reibpartie” werden hier unter Anführungszeichen wiedergegeben, um auf ihren Kontext und ihre ursprüngliche Verwendung zu verweisen.

[3] Weiterführend dazu: https://blackvoices.at/lehrmaterialien/

[4] https://www.instagram.com/schandwache/

https://www.derstandard.at/story/2000120484297/

kuenstler-verewigten-graffiti-auf-karl-lueger-denkmal-mit-beton


https://www.ots.at/presseaussendung/

OTS_20210322_OTS0060/

gruene-wienkunrath-hirschenhauser-maedchen-im-roten-mantel-steht-

lueger-gegenueber-und-zeigt-niemals-vergessen.

Marlene Lahmer

Stories of Traumatic Pasts: Counter Archives for Future Memories bringt die Kongogräuel, die Balkankriege und das Nazi-Regime in Österreich auf den gemeinsamen Nenner des Vergessens, der gescheiterten Aufarbeitung. Die Ausstellung stellt mir die grundsätzliche Frage, ob und wie künstlerische Mittel über Traumata erzählen können, beziehungsweise was sie zum öffentlichen Diskurs über verdrängte kollektive Traumata beitragen. Die Arbeit Coloniality /Convivality? von Joёlle Sambi Nzeba und Nicolas Pommier antwortet mit Schnittstellen und Leerstellen zwischen den Medien Installation, Video, gesprochenem und geschriebenem Wort.

Die Ausstellung im Weltmuseum Wien bespielt zum Teil die Räume der Schausammlung, zum Teil deren Vorräume. Eine temporäre Ausstellungsarchitektur aus Holzrahmen und Pressspanplatten füllt dort die Lücken zwischen den wuchtigen Marmorpfeilern und dient als Display für abstrakte Grafiken. „[P]laces of power are spaces to penetrate in order to redo the decoration“, heißt es in Nzebas und Pommiers Manifest. 

Beim Betreten von Coloniality /Convivality?: rotes Licht. Ein Leuchtschriftzug, der die Titelfrage zitiert, prangt über einer Rauminstallation. Um einen großen runden Esstisch stehen etliche Sessel. Einer ist umgeworfen. Auf den Tellern liegen abgetrennte schwarze Hände. Am Topf in der Mitte des Tisches hält sich eine Hand fest, als wolle sie sich daraus emporziehen. Dazu Servietten, deren Motiv sich als Kombination der Regenbogenfahne mit den Flaggen Belgiens und des Kongos identifizieren lässt. Auch wer nichts über die Kongogräuel unter dem belgischen König Leopold II. weiß, erkennt das Händeabhacken als koloniale Gewalttat an Versklavten wieder. Auf der Website des Weltmuseums finden sich Fotos von den Händen einer Schwarzen Person, die den Positionen der aufgetischten Hände entsprechen (https://www.weltmuseumwien.at/ausstellungen/stories-of-traumatic-pasts/#galerie). Beim Anblick dieser vermeintlichen “Vorlagen” dreht sich mir der Magen um. Die schwarzen Kunststoffhände spielen zwar ihren Part in dem narrativen Setting, aber ihre glatten Schnitte werden der Körperlichkeit der Gewalttaten nicht gerecht, zeigen deutlich die Grenzen der Imitation. Sie bleiben Requisiten, Platzhalter.

Der Begleittext fragt: „Wenn im Namen einer sogenannten Zivilisation so viele kongolesische Hände abgehackt wurden, kann man gemeinsam an einem Tisch sitzen und essen?“ Abseits des Tisches stehen drei Sessel, an denen Vorrichtungen mit trichterförmigen Hörern montiert sind. Diese sind zum Platznehmen, zum Zuhören da. In einem Audiostück sprechen Nicolas Pommier und Joёlle Sambi Nzeba ein Rezept für Moambe ein – ein Gericht, das viele Belgier*innen entweder der eigenen Nation zuschreiben oder als fleischgewordene Überbrückung kolonialer Differenzen betrachten. Im Gleichklang bezeichnen es die Künstler*innen als „the one dish [that] appears as a proof of a peaceful past“ – zugleich schneiden sie Zwiebeln. Vor meinem inneren Auge füllen ihre Worte den Topf auf dem Tisch mit dem kongolesischen Gericht, bis die Schnittfläche der emporkletternden Hand nicht mehr sichtbar ist. Kontrastiert wird das feierlich vorgetragene Rezept von einer poetischen Streitrede Nzebas, in der sie sich mit den Opfern von rassistischer und homophober Diskriminierung identifiziert. Sie beginnt mit Erklärungen an ein unbekanntes Gegenüber „when they didn’t want someone like you as a teacher, sport partner, babysitter, or colleague, I wasn’t there, but I was with you […]“ und endet mit einem Aufruf an queere Personen und Personen aller Ethnien, die Regeln ihrer soziopolitischen Existenz selbst in die Hand zu nehmen. (Nzebas Rede ist auch Teil des Stückes „Margins of Militancy“ in Zusammenarbeit mit DJ Rokia Bamba, das hier gehört werden kann: https://www.mixcloud.com/TheWordMagazine/margins-of-militancy-jo%C3%ABlle-sambi-nzeba-dj-rokia-bamba-220620/)

In der Installation liefern sich gesprochene und geschriebene Sprache einen Schlagabtausch. Auf einem Bildschirm unweit des Esstisches läuft C’est Beau, ein Video mit „Untertiteln“ aber ohne Ton. Eine ältere kongolesische Frau betrachtet Namensschilder belgischer Plätze und Straßen, verweilt in ihrer Gegenwart, führt kontemplative Dialoge mit ihnen. Ihre Anwesenheit steht in einem Spannungsfeld zu den Orten, die nach Imperialisten benannt wurden, die maßgeblich an den Kolonialverbrechen im Kongo beteiligt waren. Aus dem Off erscheinen Untertitel am Bildschirm, „it’s beautiful, Belgium is beautiful, Brussels is beautiful, its bright weather […]” – in der Aufnahme regnet es – „it’s beautiful, a city that takes responsibility for its history”. Sind die fettgedruckten weißen Untertitel Ausdruck von Zynismus? Nein, möchte ich denken, es ist eine Utopie, die im Indikativ – im grammatikalischen Modus der Wirklichkeit - formuliert ist.  

Ließe sich diese hoffnungsvolle Leseart auch auf Martin Krenns Schriftzug im Nebenraum anwenden? „Österreich ist ein wunderbares Land“, steht da.

Katharina Hoffmann

Traumata sind starke psychische Erschütterungen, die im Unterbewusstsein noch lange wirksam sind. Zugleich sind sie subjektive Erfahrungen eines Individuum, die nach außen hin schwer kommunizierbar sind, solange der Verarbeitungsprozess noch nicht stattgefunden hat. Aus den Geschichtsbüchern lernen wir von kollektiven traumatischen Geschehnissen, die Minderheiten erlebt haben. Sklaverei, der Holocaust, Völkerkriege und Genozide werden uns durch westliche Bildungssysteme zumeist aus einer scheinbar objektiven Sicht vermittelt. Sobald die Behandlung der Themen abgeschlossen ist, schließen wir das Buch als ließe sich damit auch das Ereignis als Ganzes abschließen. Das simple Vergessen steht dennoch einem wichtigen Tatbestand gegenüber: Die Nachwirkungen von traumatischen Geschehnissen verschwinden nicht einfach mit der Zeit. Das Überwinden von Traumata geht mit der Erinnerung Hand in Hand. Aber wie lässt sich das Vergessen - das Versäumnis, den Opfern eine Erinnerungskultur zuzugestehen - überwinden? Sobald die Opfer ein Gesicht, einen Namen und eine Geschichte erhalten, empfinden wir Mitgefühl. Diese subjektive Wiedergabe von traumatischen Ereignissen spielt in  der Ausstellung Stories of Traumatic Pasts im Weltmuseum Wien eine wichtige Rolle. Durch Berichte, Fotos, Videos und Installationen wird den Besucher*innen vor Augen geführt, was die Betroffenen in Augenblicken von Erniedrigung, Ausbeutung oder Enteignung erlebt haben. 

Die Ausstellung erstreckt sich über den gesamten ersten Stock, wo jeweils ein Flügel einem Thema gewidmet ist. Während Stimmen aus Lautsprechern ertönen, zeigen Fotos, Dokumente, Poster, Filme und Installationen die Themen. Erzählt wird von der traumatischen Vergangenheit des Kolonialismus in Belgien um 1885, des Antisemitismus in Österreich in der Zeit des Anschlusses an NS-Deutschland und dem Turbo-Nationalismus in Bosnien  und Herzegowina, Kroatien, Serbien und der Republika Srpska (Serbische Republik) von 1990 bis heute. Im Fokus steht das Vergessen der Täter*innen und das Erinnern an die Opfer. Dieses Begriffspaar wird durch eine Subjektivität vermittelt, welche die Notwendigkeit der Verarbeitung der Vergangenheit hervor hebt. 

Es beginnt mit der Vergangenheit, an die erinnert wird: Monique Mbeka Phoba, Joëlle Sambi Nzeba und Nicolas Pommier rollen Belgiens Machtausübung auf den Kongo während der Kolonialherrschaft Leopolds II. auf. Martin Krenn und Anja Salomonowitz zeigen mittels  Film den Antisemitismus während des NS-Regimes durch persönliche Berichte und Erfahrungen. Zum Schluss erzählen uns Lana Čmajčanin und Adela Jušić Gutenachtgeschichten, die von ihren Traumata, ausgelöst durch die Belagerung Sarajevos von der Armee der Republika Srpska, handeln. Als Besucher*innen lauschen wir den Geschichten und folgen dem Videomaterial. Das Verständnis von der Situation, die Angst der Opfer und die Ungerechtigkeit der Täter*innen motivieren zur tieferen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. 

Aber was ist mit der unmittelbaren Gegenwart? Wie reagieren wir auf heutige Traumata von Opfern oder reagieren wir überhaupt? Die Flüchtlingskrise 2015 ist ein Ereignis, das an Bedeutung verliert, sobald die Nachrichten nicht mehr darüber berichten. Schnell vergessen wir, welche Torturen Geflüchtete  bewältigen mussten und müssen. Arye Wachsmuth und Valerie Wolf Gang behandeln diese Thematik. Schnell wird klar, dass wir die Kultur des Vergessens bis heute noch exzellent pflegen. Ist unser gewollt objektiver Zugang zum Thema Genozid der Grund für das ständige Vergessen? Das digitale Archiv Kampf gegen die Genealogie der Amnesie bietet neue Zugänge für die Wissensaneignung: 70 Stunden aus insgesamt 82 Interviews/Positionen und Aufnahmen des Symposiums GENEALOGY OF AMNESIA: Crushing Silences, Constructing Histories (Genealogie der Amnesie: Stille zerstören, Geschichte konstruieren), das im mumok 2018 stattgefunden hat. Der Zugang erfolgt über die Webseite: archiveofamnesia.akbild.ac.at

Was die Ausstellung hinterlässt, bietet keine Antwort für die Überwindung des Vergessens, doch sie schafft Bewusstsein für den Prozess der Erinnerung.

[1] Dieter J. Hecht, Eleonore Lappin-Eppel, Michaela Raggam-Blesch, Topographie der Shoah. Gedächtnisorte des zerstörten jüdischen Wien, Wien 2017, S. 23.

[2] Die Begriffe “Anschluss” und “Reibpartie” werden hier unter Anführungszeichen wiedergegeben, um auf ihren Kontext und ihre ursprüngliche Verwendung zu verweisen.

[3] Weiterführend dazu: https://blackvoices.at/lehrmaterialien/

[4] https://www.instagram.com/schandwache/

https://www.derstandard.at/story/

2000120484297/kuenstler-verewigten-graffiti-

auf-karl-lueger-denkmal-mit-beton.
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_

20210322_OTS0060/gruene-wienkunrath-hirschenhauser

-maedchen-im-roten-mantel-steht-lueger-gegenueber

-und-zeigt-niemals-vergessen.

Anna Höfling

[…] Als ich damals vorbeiging, sah ich von weitem viele Leute stehen, lachend und grölend, das Ganze war damals für viele Wiener ein Riesenspaß. Ich sah einige alte, bärtige Männer, Juden natürlich, kniend, mit Kübeln und Fetzen, die von nazistischen Rüpeln, jung und alt, angetrieben wurden, die Straße von politischen Schreibereien der Vaterländischen Front und anderen Antinazischriften aus den Tagen vor dem Umbruch zu reinigen. […] „Bist a Jud?“ Ich antwortete mit Ja. Also brachte man mich auf die andere Seite, schon hatte ich auch einen Kübel, Fetzen und Bürste in der Hand und durfte die Straße reinigen. […] Wir Juden haben damals unter vielen Tritten die Straßen Wiens gut gereinigt.“  [1]

– Harry Weber, Fotograf und Zeitzeuge (1921-2007)

Die „Reibpartien“, die sich in der Zeit nach dem sogenannten „Anschluss“ 1938 in Wien ereigneten und eine Form der erniedrigenden, grausamen Gewalt gegen Juden und Jüdinnen im öffentlichen Raum darstellten, kommen in der Ausstellung Stories of Traumatic Pasts – Counter Archives for Future Memories im Weltmuseum Wien zur Sprache. [2] Bisher habe ich mich dagegen gesträubt, diese Institution zu besuchen, die nicht nur den Imperial Shop Vienna beherbergt – wie absurd! –, sondern deren Highlight ebenso ein aztekischer Federkopfschmuck ist, dessen Rückgabe nach Mexiko weiterhin vielfach gefordert wird. [3] Nun habe ich das Museum für diese Ausstellung doch betreten. Hier rücken der belgische Kolonialismus im Kongo, Antisemitismus in Österreich und Turbo-Nationalismus im ehemaligen Jugoslawien in den Fokus. Obwohl künstlerisch aufbereitet, scheint es sich um wissenschaftliche Fallstudien zu handeln, die individuell Betroffene Geschichten (stories) von Gewalt und Genozid erzählen lassen, welche sich zu Geschichten (histories) zusammenfügen. Ihre Stimmen sind zu hören und zu lesen.

Die Worte Schrubben und Scheuern klingen in meinem Kopf nach gezielter Aggression, die eine schmerzhafte Wunde auf der Haut zurücklässt. In Joëlle Sambi Nzebas Videoinstallation C’est beau (It’s Beautiful) von 2020, die ebenfalls ihren Platz in der Ausstellung findet, bekommt das Wort „to scrub“ jedoch eine heilende Bedeutung:

„It’s beautiful when a city cleans, polishes, scrubs, adorns, renovates and builds. It’s beautiful when a country questions, interrogates, decentres, deconstructs and reconciles.”

Ich werde hier von einer älteren Kongolesin durch Brüssel geführt und auf Kolonialisten aufmerksam gemacht, die in Form von Statuen oder Straßennamen im öffentlichen Raum präsent sind. Während sie an einem grauen Tag bei Regen durch die Stadt spaziert, lobt sie das belgische Wetter, was zuerst ironisch klingt. Doch der Regen trägt hier, genau wie das Schrubben, eine reinigende Symbolik in sich. Sie besucht auch den Platz, der nach Patrice Lumumba, dem ersten Premierminister des unabhängigen Kongo, benannt ist. Die Benennung von öffentlichen Orten ist immer Teil der Erinnerungskultur – nur ist zu entscheiden, an wen oder was man sich erinnern möchte, wem dieser Raum eingeräumt wird. In Wien steht die Figur des Antisemiten Karl Lueger weiterhin stolz erhöht auf dem gleichnamigen Platz am Ring. Kunstinterventionen, die darauf darauf aufmerksam machen sollten, wurden im Oktober 2020 von Rechtsextremen zerstört. Rund um dieses Ereignis fanden Schandwachen von Künstler*innen und Gruppierungen wie der Jüdischen Hochschüler*innenschaft vor Ort statt. Diese Woche stellten die Grünen der Statue ein Mädchen im roten Mantel gegenüber – als Puppe in Referenz auf den Film Schindlers Liste. Auf die geforderte Umgestaltung des Denkmals wird jedoch weiterhin gewartet. [4] 

Die Ausstellung im Weltmuseum Wien verfolgt einen Bildungsauftrag, in dessen Rahmen Kunst Geschichte anders erzählen kann, indem Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und besonders Betroffene zu Wort kommen. Dabei bleiben stets aktuelle Umstände als Motivation sichtbar. So findet sich zum Beispiel in der Installation zu den „Reibpartien” von Martin Krenn der erste Satz des österreichischen Regierungsprogramms von 2020 wieder: „Österreich ist ein wunderbares Land”.
Das Lernen muss zum bewussten Verlernen führen, um gegen das Vergessen anzukämpfen.

[1] Dieter J. Hecht, Eleonore Lappin-Eppel, Michaela Raggam-Blesch, Topographie der Shoah. Gedächtnisorte des zerstörten jüdischen Wien, Wien 2017, S. 23.

[2] Die Begriffe “Anschluss” und “Reibpartie” werden hier unter Anführungszeichen wiedergegeben, um auf ihren Kontext und ihre ursprüngliche Verwendung zu verweisen.

[3] Weiterführend dazu: https://blackvoices.at/lehrmaterialien/

[4] https://www.instagram.com/schandwache/

https://www.derstandard.at/story/2000120484297/

kuenstler-verewigten-graffiti-auf-karl-lueger-denkmal-mit-beton


https://www.ots.at/presseaussendung/

OTS_20210322_OTS0060/

gruene-wienkunrath-hirschenhauser-maedchen-im-roten-mantel-steht-

lueger-gegenueber-und-zeigt-niemals-vergessen.

Marlene Lahmer

Stories of Traumatic Pasts: Counter Archives for Future Memories bringt die Kongogräuel, die Balkankriege und das Nazi-Regime in Österreich auf den gemeinsamen Nenner des Vergessens, der gescheiterten Aufarbeitung. Die Ausstellung stellt mir die grundsätzliche Frage, ob und wie künstlerische Mittel über Traumata erzählen können, beziehungsweise was sie zum öffentlichen Diskurs über verdrängte kollektive Traumata beitragen. Die Arbeit Coloniality /Convivality? von Joёlle Sambi Nzeba und Nicolas Pommier antwortet mit Schnittstellen und Leerstellen zwischen den Medien Installation, Video, gesprochenem und geschriebenem Wort.

Die Ausstellung im Weltmuseum Wien bespielt zum Teil die Räume der Schausammlung, zum Teil deren Vorräume. Eine temporäre Ausstellungsarchitektur aus Holzrahmen und Pressspanplatten füllt dort die Lücken zwischen den wuchtigen Marmorpfeilern und dient als Display für abstrakte Grafiken. „[P]laces of power are spaces to penetrate in order to redo the decoration“, heißt es in Nzebas und Pommiers Manifest. 

Beim Betreten von Coloniality /Convivality?: rotes Licht. Ein Leuchtschriftzug, der die Titelfrage zitiert, prangt über einer Rauminstallation. Um einen großen runden Esstisch stehen etliche Sessel. Einer ist umgeworfen. Auf den Tellern liegen abgetrennte schwarze Hände. Am Topf in der Mitte des Tisches hält sich eine Hand fest, als wolle sie sich daraus emporziehen. Dazu Servietten, deren Motiv sich als Kombination der Regenbogenfahne mit den Flaggen Belgiens und des Kongos identifizieren lässt. Auch wer nichts über die Kongogräuel unter dem belgischen König Leopold II. weiß, erkennt das Händeabhacken als koloniale Gewalttat an Versklavten wieder. Auf der Website des Weltmuseums finden sich Fotos von den Händen einer Schwarzen Person, die den Positionen der aufgetischten Hände entsprechen (https://www.weltmuseumwien.at/ausstellungen/stories-of-traumatic-pasts/#galerie). Beim Anblick dieser vermeintlichen “Vorlagen” dreht sich mir der Magen um. Die schwarzen Kunststoffhände spielen zwar ihren Part in dem narrativen Setting, aber ihre glatten Schnitte werden der Körperlichkeit der Gewalttaten nicht gerecht, zeigen deutlich die Grenzen der Imitation. Sie bleiben Requisiten, Platzhalter.

Der Begleittext fragt: „Wenn im Namen einer sogenannten Zivilisation so viele kongolesische Hände abgehackt wurden, kann man gemeinsam an einem Tisch sitzen und essen?“ Abseits des Tisches stehen drei Sessel, an denen Vorrichtungen mit trichterförmigen Hörern montiert sind. Diese sind zum Platznehmen, zum Zuhören da. In einem Audiostück sprechen Nicolas Pommier und Joёlle Sambi Nzeba ein Rezept für Moambe ein – ein Gericht, das viele Belgier*innen entweder der eigenen Nation zuschreiben oder als fleischgewordene Überbrückung kolonialer Differenzen betrachten. Im Gleichklang bezeichnen es die Künstler*innen als „the one dish [that] appears as a proof of a peaceful past“ – zugleich schneiden sie Zwiebeln. Vor meinem inneren Auge füllen ihre Worte den Topf auf dem Tisch mit dem kongolesischen Gericht, bis die Schnittfläche der emporkletternden Hand nicht mehr sichtbar ist. Kontrastiert wird das feierlich vorgetragene Rezept von einer poetischen Streitrede Nzebas, in der sie sich mit den Opfern von rassistischer und homophober Diskriminierung identifiziert. Sie beginnt mit Erklärungen an ein unbekanntes Gegenüber „when they didn’t want someone like you as a teacher, sport partner, babysitter, or colleague, I wasn’t there, but I was with you […]“ und endet mit einem Aufruf an queere Personen und Personen aller Ethnien, die Regeln ihrer soziopolitischen Existenz selbst in die Hand zu nehmen. (Nzebas Rede ist auch Teil des Stückes „Margins of Militancy“ in Zusammenarbeit mit DJ Rokia Bamba, das hier gehört werden kann: https://www.mixcloud.com/TheWordMagazine/margins-of-militancy-jo%C3%ABlle-sambi-nzeba-dj-rokia-bamba-220620/)

In der Installation liefern sich gesprochene und geschriebene Sprache einen Schlagabtausch. Auf einem Bildschirm unweit des Esstisches läuft C’est Beau, ein Video mit „Untertiteln“ aber ohne Ton. Eine ältere kongolesische Frau betrachtet Namensschilder belgischer Plätze und Straßen, verweilt in ihrer Gegenwart, führt kontemplative Dialoge mit ihnen. Ihre Anwesenheit steht in einem Spannungsfeld zu den Orten, die nach Imperialisten benannt wurden, die maßgeblich an den Kolonialverbrechen im Kongo beteiligt waren. Aus dem Off erscheinen Untertitel am Bildschirm, „it’s beautiful, Belgium is beautiful, Brussels is beautiful, its bright weather […]” – in der Aufnahme regnet es – „it’s beautiful, a city that takes responsibility for its history”. Sind die fettgedruckten weißen Untertitel Ausdruck von Zynismus? Nein, möchte ich denken, es ist eine Utopie, die im Indikativ – im grammatikalischen Modus der Wirklichkeit - formuliert ist.  

Ließe sich diese hoffnungsvolle Leseart auch auf Martin Krenns Schriftzug im Nebenraum anwenden? „Österreich ist ein wunderbares Land“, steht da.

Katharina Hoffmann

Traumata sind starke psychische Erschütterungen, die im Unterbewusstsein noch lange wirksam sind. Zugleich sind sie subjektive Erfahrungen eines Individuum, die nach außen hin schwer kommunizierbar sind, solange der Verarbeitungsprozess noch nicht stattgefunden hat. Aus den Geschichtsbüchern lernen wir von kollektiven traumatischen Geschehnissen, die Minderheiten erlebt haben. Sklaverei, der Holocaust, Völkerkriege und Genozide werden uns durch westliche Bildungssysteme zumeist aus einer scheinbar objektiven Sicht vermittelt. Sobald die Behandlung der Themen abgeschlossen ist, schließen wir das Buch als ließe sich damit auch das Ereignis als Ganzes abschließen. Das simple Vergessen steht dennoch einem wichtigen Tatbestand gegenüber: Die Nachwirkungen von traumatischen Geschehnissen verschwinden nicht einfach mit der Zeit. Das Überwinden von Traumata geht mit der Erinnerung Hand in Hand. Aber wie lässt sich das Vergessen - das Versäumnis, den Opfern eine Erinnerungskultur zuzugestehen - überwinden? Sobald die Opfer ein Gesicht, einen Namen und eine Geschichte erhalten, empfinden wir Mitgefühl. Diese subjektive Wiedergabe von traumatischen Ereignissen spielt in  der Ausstellung Stories of Traumatic Pasts im Weltmuseum Wien eine wichtige Rolle. Durch Berichte, Fotos, Videos und Installationen wird den Besucher*innen vor Augen geführt, was die Betroffenen in Augenblicken von Erniedrigung, Ausbeutung oder Enteignung erlebt haben. 

Die Ausstellung erstreckt sich über den gesamten ersten Stock, wo jeweils ein Flügel einem Thema gewidmet ist. Während Stimmen aus Lautsprechern ertönen, zeigen Fotos, Dokumente, Poster, Filme und Installationen die Themen. Erzählt wird von der traumatischen Vergangenheit des Kolonialismus in Belgien um 1885, des Antisemitismus in Österreich in der Zeit des Anschlusses an NS-Deutschland und dem Turbo-Nationalismus in Bosnien  und Herzegowina, Kroatien, Serbien und der Republika Srpska (Serbische Republik) von 1990 bis heute. Im Fokus steht das Vergessen der Täter*innen und das Erinnern an die Opfer. Dieses Begriffspaar wird durch eine Subjektivität vermittelt, welche die Notwendigkeit der Verarbeitung der Vergangenheit hervor hebt. 

Es beginnt mit der Vergangenheit, an die erinnert wird: Monique Mbeka Phoba, Joëlle Sambi Nzeba und Nicolas Pommier rollen Belgiens Machtausübung auf den Kongo während der Kolonialherrschaft Leopolds II. auf. Martin Krenn und Anja Salomonowitz zeigen mittels  Film den Antisemitismus während des NS-Regimes durch persönliche Berichte und Erfahrungen. Zum Schluss erzählen uns Lana Čmajčanin und Adela Jušić Gutenachtgeschichten, die von ihren Traumata, ausgelöst durch die Belagerung Sarajevos von der Armee der Republika Srpska, handeln. Als Besucher*innen lauschen wir den Geschichten und folgen dem Videomaterial. Das Verständnis von der Situation, die Angst der Opfer und die Ungerechtigkeit der Täter*innen motivieren zur tieferen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. 

Aber was ist mit der unmittelbaren Gegenwart? Wie reagieren wir auf heutige Traumata von Opfern oder reagieren wir überhaupt? Die Flüchtlingskrise 2015 ist ein Ereignis, das an Bedeutung verliert, sobald die Nachrichten nicht mehr darüber berichten. Schnell vergessen wir, welche Torturen Geflüchtete  bewältigen mussten und müssen. Arye Wachsmuth und Valerie Wolf Gang behandeln diese Thematik. Schnell wird klar, dass wir die Kultur des Vergessens bis heute noch exzellent pflegen. Ist unser gewollt objektiver Zugang zum Thema Genozid der Grund für das ständige Vergessen? Das digitale Archiv Kampf gegen die Genealogie der Amnesie bietet neue Zugänge für die Wissensaneignung: 70 Stunden aus insgesamt 82 Interviews/Positionen und Aufnahmen des Symposiums GENEALOGY OF AMNESIA: Crushing Silences, Constructing Histories (Genealogie der Amnesie: Stille zerstören, Geschichte konstruieren), das im mumok 2018 stattgefunden hat. Der Zugang erfolgt über die Webseite: archiveofamnesia.akbild.ac.at

Was die Ausstellung hinterlässt, bietet keine Antwort für die Überwindung des Vergessens, doch sie schafft Bewusstsein für den Prozess der Erinnerung.

[1] Dieter J. Hecht, Eleonore Lappin-Eppel, Michaela Raggam-Blesch, Topographie der Shoah. Gedächtnisorte des zerstörten jüdischen Wien, Wien 2017, S. 23.

[2] Die Begriffe “Anschluss” und “Reibpartie” werden hier unter Anführungszeichen wiedergegeben, um auf ihren Kontext und ihre ursprüngliche Verwendung zu verweisen.

[3] Weiterführend dazu: https://blackvoices.at/lehrmaterialien/

[4] https://www.instagram.com/schandwache/

https://www.derstandard.at/story/

2000120484297/kuenstler-verewigten-graffiti-

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