ANNA HÖFLING
LAURA PATTISS
CHANTAL SCHLACHER
Josef Müllner, Luegerdenkmal, Dr.-Karl-Lueger-Platz, Wien, Foto Credits: Anna Höfling
ANNA HÖFLING
„Wenn eine Gesellschaft im Begriff ist, von einem politischen System auf ein anderes umzustellen und ihre ideologischen und normativen Grundlagen zu verändern, wird es für die Bewohner einer Stadt zunehmend unerträglich, weiterhin mit der Verherrlichung von Werten konfrontiert zu werden, von denen man sich soeben distanziert hat und die man nun im Vollzug eines radikalen Neubeginns möglichst rasch dem Vergessen überantworten möchte.“ (Assmann 2011, S. 56.)
Schon zu seiner Beantragung wenige Tage nach Luegers Tod war das Denkmal umstritten – damals wegen seines geplanten Aufstellungsortes. (Der Platz vor dem Rathaus, damals Luegerplatz, war für ein Kaisermonument vorgesehen.) Seit seiner Enthüllung 1926 am gleichnamigen Platz am Ring wurde das Luegerdenkmal immer wieder re-kontextualisiert: durch Festivitäten vor Ort wie Reden und Kranzniederlegungen. Auch während des Austrofaschismus‘ und der NS-Zeit vollzogen sich immer wieder solche Aktualisierungen. Dank des 2009 gegründeten Arbeitskreises zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus erfolgte eine kritische Auseinandersetzung mit dem Monument, das ab 1913 von Josef Müllner errichtet worden war. Der von dem Arbeitskreis ausgeschriebene Wettbewerb brachte 220 Vorschläge zusammen, von denen der Entwurf Schieflage von Klemens Wihlidal zum Sieger gekürt wurde, jedoch nie Umsetzung fand. 2016 wurde ein Wienkl, eine bilinguale Informationstafel, neben dem Denkmal errichtet, der auf Luegers Antisemitismus hinweisen sollte. Er wird jedoch heute von Linken sowie dem Verfasser des Infotextes selbst, dem Historiker Oliver Rathkolb, als unzureichend kritisiert. Seitdem fanden bereits diverse Interventionen statt und schon seit einem Jahr zieren nun die bunten Schande-Schriftzüge den Sockel, die die Debatte erneut entfachten.
Wie ist also heute mit dem Luegerdenkmal, das bereits so viele Bedeutungsschichten in sich trägt, umzugehen?
Klar ist, dass weder der Abriss noch das reine Bestehenlassen sinnvolle Lösungen darstellen. Als demokratische Gesellschaft wollen wir uns von Luegers Antisemitismus, antimagyarischem Rassismus und Populismus, aber auch von dem patriarchalen Bildprogramm sowie dem in der NS-Zeit aktiven Bildhauer Müllner distanzieren. (Inwiefern jener während des Nationalsozialismus‘ politisch aktiv war, ist noch unklar, jedoch gestaltete er eine Hitler-Büste für die Akademie der bildenden Künste.) Eine klare Positionierung ist in diesem Falle aufgrund der Präsenz in unserem Alltag wichtig. Da wir uns jedoch nicht in der Situation eines plötzlichen historischen Bruches befinden, haben wir die Möglichkeit, statt des Ikonoklasmus‘ eine sinnvolle Neukontextualisierung zu wählen, die die Geschichte nicht vertuscht.
„Geschichte sollte im Stadtraum in heterogenen Schichten erhalten bleiben, um das historische Bewusstsein sowohl für Kontinuitäten als auch für Brüche zu schärfen.“ (Assmann 2016a, S. 36.)
Wichtig zu bedenken ist, dass wir uns heute nicht am Ende der Geschichte befinden und der Anspruch auf Ewigkeit nicht erfüllt werden kann, weshalb ein dynamischeres Verständnis des Denkmals zum Tragen kommen muss.
„[…] nichts ist schneller veraltet als der in eine zeittypische Form gegossene Anspruch auf Ewigkeit. Deshalb werden Denkmäler auch so leicht unsichtbar.“ (Assmann 2016a, S. 41.)
Vier Aspekte sind besonders zu berücksichtigen, die Helmut und Johanna Kandl beim Wächterhaus – wenn auch in einem anderen Kontext – bereits 2009 umsetzten:
Um aus der Vergangenheit lernen zu können, muss das Alte sichtbar bleiben, was im Falle einer Neukontextualisierung palimpsestartige Überlagerungen zur Folge hat und so seine Intention betonen kann. Um nicht – wie viele andere Denkmäler – zum unbeachteten „Inventar“ der Stadt zu werden, benötigt es Auffälligkeit, was auch durch stetige Aktualisierung erzielt werden kann. Ein dynamischeres Denkmal erlaubt immer wieder eine zeitgenössische Anpassung und somit eine Auseinandersetzung mit neuen Blickwinkeln. Denn nicht nur Historisches, sondern gerade unsere gegenwärtigen Strukturen sowie unser Umgang mit der Denkmalkultur, sollen hinterfragt werden. Wie diese Aspekte am spezifischen Beispiel in Wien genau Umsetzung finden, muss von Künstler*innen verhandelt werden, wobei Aspekte von bereits bestehenden Vorschlägen des Wettbewerbes 2009-10 (https://opencall.luegerplatz.com/index.html & https://luegerplatz.com/presse/Handbuch_Lueger.pdf), sowie von Beispielen aus anderen Städten in Betracht gezogen und kombiniert werden können.
LAURA PATTISS
Die Black Lives Matter Bewegung des vergangenen Jahres rüttelte die Diskussionen um den Umgang mit Denkmälern von kritisch zu sehenden historischen Figuren dramatisch auf. Jedoch stand das Lueger Denkmal in Wien auch vorher schon in der Kritik und war regelmäßig Gegenstand von Überlegungen zur Umgestaltung. Einige Vorschläge scheiterten an der Praktikabilität, wie etwa der Gedanke, die Figur des aufgrund seines Antisemitismus in Ungnade gefallenen ehemaligen Wiener Bürgermeisters in Schräglage zu versetzen. An Aktionen wie der „Schandwache“ 2020, in deren Rahmen die Figur Luegers samt Sockel und Reliefs unter anderem wiederholt mit dem Wort „Schande“ besprüht wurde, scheiden sich ebenso die Geister. Wo die einen sich im Verbannen des Denkmals in ein Museum oder im Vernichten desselben in Anlehnung an die Denkmalstürze des vergangenen Jahres (man denke an Bristol oder die USA) das Entmachten der entsprechenden Werte erhoffen, befürchten andere darin ein Verdrängen der eigenen Geschichte. Das Lueger Denkmal in ein Museum oder Archiv zu „verräumen“ und jegliche Erinnerung daran in Form von Straßen- oder Platznamen auszulöschen, hat den Beigeschmack der Gewissensberuhigung oder des Reinwaschens einer so gar nicht sauberen Weste. Denn: Karl Lueger, der als Wegbereiter des populistischen Antisemitismus in Wien gesehen wird, ist mit seinem Gedankengut selbstredend Teil eines sehr unrühmlichen Kapitels österreichischer Geschichte, von dem sich junge, aufgeklärte Österreicher*innen nur zu gerne distanziert wissen. Jedoch ist es unehrlich zu glauben, mit dem Denkmal könne man auch hinter dem Antisemitismus eine Türe schließen. Denn neben ansteigender Fremden- und Islamfeindlichkeit greift auch der Antisemitismus in den letzten Jahren wieder zunehmend um sich. 75 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs mag man sich Bewusstsein über die Gefahren solchen Gedankenguts erhoffen. Allerdings zeigen die Entwicklungen der letzten Jahre leider: So ist Österreich nicht, jedenfalls noch nicht. Es gilt, ein Mahnmal zu schaffen und sich klar gegen den Antisemitismus zu positionieren und nicht, alle Überbleibsel ungeliebter österreichischer Geschichte zu vertuschen. Eine Informationstafel zur Kontextualisierung am Karl-Lueger-Platz reicht nicht aus, um das Denkmal mit seiner beeindruckenden Dimension und Platzierung an prominenter Stelle im öffentlichen Raum seiner Wirkmächtigkeit zu berauben. Diese kann man schließlich lesen oder eben auch nicht. Um zu verhindern, dass das Lueger-Denkmal zu einer Pilgerstätte für Gleichgesinnte verkommt, was es bereits tut, bedarf es einer drastischen (künstlerischen) Umstrukturierung. Überlegungen dazu gibt es reichlich.
CHANTAL SCHLACHER
Steigt man bei Stubentor aus der U-Bahn aus und geht die Treppen hinauf, ist man direkt beim Karl-Lueger-Denkmal. Die Statue des ambivalenten, österreichischen Politikers steht auf einem prominenten Platz, direkt am Wiener Ring und verbindet die zwei zentralen Bezirke Innere Stadt und Landstraße miteinander. Man kann sich also vorstellen, dass viele Tourist*innen diese Ecke Wiens gerne ansteuern und dass aufgrund der Lage im Stadtzentrum eifrig um die Statue spaziert wird. Lange Zeit stand das Denkmal so vor sich hin; jetzt gerade sieht man noch die roten Graffiti-Schriftzüge die „Schande“ schreien. Sie entstanden im Rahmen der einwöchigen Kunstaktion “Schandwache”, deren Forderung die radikale Umgestaltung des Denkmals ist. Wieder ein anderes Mal ließ man für die Dauer von drei Wochen einen Banner mit einer Abbildung Ute Bocks und zwei Geflüchteten davor errichten. Dabei handelte es sich ebenfalls um eine temporäre Kunstinstallation der Künstler*innen Peter Fritzenwallner und Ines Hochgerner von April bis Mai 2019, die das Antlitz des Lueger Denkmals mit einer Plakatwand verhängen. Manchmal wiederum fungiert das Monument als Treffpunkt für Rechtsextreme. Im September 2019 versammelte sich hier die Identitären Bewegung zu einer Kundgebung vor dem Denkmal, FPÖ-Politiker nutzen die Präsenz der Statue zur szenischen Untermalung ihrer Reden und auch die rechtsextreme Gruppe „Okzident“ ruft zu Zusammenkünften Identitärer vor der Statue.[1] Und so steht Lueger eben in der Gegend, inmitten all dieser unterschiedlichen Bedeutungen.
Die Ambivalenz der Persönlichkeit Karl Luegers rührt daher, dass er zwei Eigenschaften in sich vereint: Er war Bürgermeister und Begründer der Christlichsozialen Partei und gleichzeitig ausgesprochener Antisemit und Wetteiferer gegen das Judentum. Ja, beides auf einmal. Gerät der ehemalige Bürgermeister bei Diskussionen um die Umbenennung seines Platzes und der Umgestaltung seines Denkmals in eine Schieflage, wird seine erste Tätigkeit hervorgehoben. Man könne ihm seine Wohltaten für die österreichische Hauptstadt nicht absprechen, nur weil er eben auch Antisemit war. Die Berechtigung einer Statue sei zum damaligen Zeitpunkt gegeben gewesen. Man spricht auch davon, dass Lueger sich in seiner frühen politischen Phase durch seinen „Verbalantisemitismus“ auszeichnete, der dem Ton der Zeit entsprach und daher seiner politischen Karriere nützte.[2] Er solle deshalb aber nicht als überzeugter Antisemit missverstanden werden, schreiben Franz Schausberger und Hannes Schönner in ihrem Gastkommentar in der Wiener Zeitung. Wird in Österreich etwa zwischen Statuen überzeugter und halbherziger, vollinvestierter und laschen Antisemiten unterschieden? Oder gilt es am Ende nicht doch Antisemitismus zu verurteilen und zu bewerten genau dafür, was es ist - menschenfeindlich und gefährlich? Reicht es aus Statuen, die Redensführer antisemitischer Gedanken abbilden, visuell zu kennzeichnen oder bedarf es mehr Aufwand um sie aus ihrem heroischen Kontext herauszuheben? Es ist wahrscheinlich mehr notwendig als eine bloße Tafel, die nur besonders ehrgeizige Tourist*innen und Neugierige lesen.
Ich denke, eben weil Erinnerungen die Eigenschaft besitzen sich in ständiger Veränderung und Neudefinition zu befinden, müssen auch die Monumente, die unsere Alltagswelt bevölkern, sich mit uns wandeln und unsere politische Haltung mitabbilden. Unsere Meinung kann sich ändern und unsere Monumente können sich an diese adaptieren.[3] Die Verwandlung unseres Wissens ist ein andauernder Prozess und unsere Erinnerungen sind nie vollends abgeschlossen. Genauso wie wir diese ständig umbauen, wenn neue Einflüsse und Inputs erscheinen, können wir auch mit den in Stein gehauenen Beweisen unserer Geschichte umgehen.
ANNA HÖFLING
„Wenn eine Gesellschaft im Begriff ist, von einem politischen System auf ein anderes umzustellen und ihre ideologischen und normativen Grundlagen zu verändern, wird es für die Bewohner einer Stadt zunehmend unerträglich, weiterhin mit der Verherrlichung von Werten konfrontiert zu werden, von denen man sich soeben distanziert hat und die man nun im Vollzug eines radikalen Neubeginns möglichst rasch dem Vergessen überantworten möchte.“ (Assmann 2011, S. 56.)
Schon zu seiner Beantragung wenige Tage nach Luegers Tod war das Denkmal umstritten – damals wegen seines geplanten Aufstellungsortes. (Der Platz vor dem Rathaus, damals Luegerplatz, war für ein Kaisermonument vorgesehen.) Seit seiner Enthüllung 1926 am gleichnamigen Platz am Ring wurde das Luegerdenkmal immer wieder re-kontextualisiert: durch Festivitäten vor Ort wie Reden und Kranzniederlegungen. Auch während des Austrofaschismus‘ und der NS-Zeit vollzogen sich immer wieder solche Aktualisierungen. Dank des 2009 gegründeten Arbeitskreises zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus erfolgte eine kritische Auseinandersetzung mit dem Monument, das ab 1913 von Josef Müllner errichtet worden war. Der von dem Arbeitskreis ausgeschriebene Wettbewerb brachte 220 Vorschläge zusammen, von denen der Entwurf Schieflage von Klemens Wihlidal zum Sieger gekürt wurde, jedoch nie Umsetzung fand. 2016 wurde ein Wienkl, eine bilinguale Informationstafel, neben dem Denkmal errichtet, der auf Luegers Antisemitismus hinweisen sollte. Er wird jedoch heute von Linken sowie dem Verfasser des Infotextes selbst, dem Historiker Oliver Rathkolb, als unzureichend kritisiert. Seitdem fanden bereits diverse Interventionen statt und schon seit einem Jahr zieren nun die bunten Schande-Schriftzüge den Sockel, die die Debatte erneut entfachten.
Wie ist also heute mit dem Luegerdenkmal, das bereits so viele Bedeutungsschichten in sich trägt, umzugehen?
Klar ist, dass weder der Abriss noch das reine Bestehenlassen sinnvolle Lösungen darstellen. Als demokratische Gesellschaft wollen wir uns von Luegers Antisemitismus, antimagyarischem Rassismus und Populismus, aber auch von dem patriarchalen Bildprogramm sowie dem in der NS-Zeit aktiven Bildhauer Müllner distanzieren. (Inwiefern jener während des Nationalsozialismus‘ politisch aktiv war, ist noch unklar, jedoch gestaltete er eine Hitler-Büste für die Akademie der bildenden Künste.) Eine klare Positionierung ist in diesem Falle aufgrund der Präsenz in unserem Alltag wichtig. Da wir uns jedoch nicht in der Situation eines plötzlichen historischen Bruches befinden, haben wir die Möglichkeit, statt des Ikonoklasmus‘ eine sinnvolle Neukontextualisierung zu wählen, die die Geschichte nicht vertuscht.
„Geschichte sollte im Stadtraum in heterogenen Schichten erhalten bleiben, um das historische Bewusstsein sowohl für Kontinuitäten als auch für Brüche zu schärfen.“ (Assmann 2016a, S. 36.)
Wichtig zu bedenken ist, dass wir uns heute nicht am Ende der Geschichte befinden und der Anspruch auf Ewigkeit nicht erfüllt werden kann, weshalb ein dynamischeres Verständnis des Denkmals zum Tragen kommen muss.
„[…] nichts ist schneller veraltet als der in eine zeittypische Form gegossene Anspruch auf Ewigkeit. Deshalb werden Denkmäler auch so leicht unsichtbar.“ (Assmann 2016a, S. 41.)
Vier Aspekte sind besonders zu berücksichtigen, die Helmut und Johanna Kandl beim Wächterhaus – wenn auch in einem anderen Kontext – bereits 2009 umsetzten:
Um aus der Vergangenheit lernen zu können, muss das Alte sichtbar bleiben, was im Falle einer Neukontextualisierung palimpsestartige Überlagerungen zur Folge hat und so seine Intention betonen kann. Um nicht – wie viele andere Denkmäler – zum unbeachteten „Inventar“ der Stadt zu werden, benötigt es Auffälligkeit, was auch durch stetige Aktualisierung erzielt werden kann. Ein dynamischeres Denkmal erlaubt immer wieder eine zeitgenössische Anpassung und somit eine Auseinandersetzung mit neuen Blickwinkeln. Denn nicht nur Historisches, sondern gerade unsere gegenwärtigen Strukturen sowie unser Umgang mit der Denkmalkultur, sollen hinterfragt werden. Wie diese Aspekte am spezifischen Beispiel in Wien genau Umsetzung finden, muss von Künstler*innen verhandelt werden, wobei Aspekte von bereits bestehenden Vorschlägen des Wettbewerbes 2009-10 (https://opencall.luegerplatz.com/index.html & https://luegerplatz.com/presse/Handbuch_Lueger.pdf), sowie von Beispielen aus anderen Städten in Betracht gezogen und kombiniert werden können.
LAURA PATTISS
Die Black Lives Matter Bewegung des vergangenen Jahres rüttelte die Diskussionen um den Umgang mit Denkmälern von kritisch zu sehenden historischen Figuren dramatisch auf. Jedoch stand das Lueger Denkmal in Wien auch vorher schon in der Kritik und war regelmäßig Gegenstand von Überlegungen zur Umgestaltung. Einige Vorschläge scheiterten an der Praktikabilität, wie etwa der Gedanke, die Figur des aufgrund seines Antisemitismus in Ungnade gefallenen ehemaligen Wiener Bürgermeisters in Schräglage zu versetzen. An Aktionen wie der „Schandwache“ 2020, in deren Rahmen die Figur Luegers samt Sockel und Reliefs unter anderem wiederholt mit dem Wort „Schande“ besprüht wurde, scheiden sich ebenso die Geister. Wo die einen sich im Verbannen des Denkmals in ein Museum oder im Vernichten desselben in Anlehnung an die Denkmalstürze des vergangenen Jahres (man denke an Bristol oder die USA) das Entmachten der entsprechenden Werte erhoffen, befürchten andere darin ein Verdrängen der eigenen Geschichte. Das Lueger Denkmal in ein Museum oder Archiv zu „verräumen“ und jegliche Erinnerung daran in Form von Straßen- oder Platznamen auszulöschen, hat den Beigeschmack der Gewissensberuhigung oder des Reinwaschens einer so gar nicht sauberen Weste. Denn: Karl Lueger, der als Wegbereiter des populistischen Antisemitismus in Wien gesehen wird, ist mit seinem Gedankengut selbstredend Teil eines sehr unrühmlichen Kapitels österreichischer Geschichte, von dem sich junge, aufgeklärte Österreicher*innen nur zu gerne distanziert wissen. Jedoch ist es unehrlich zu glauben, mit dem Denkmal könne man auch hinter dem Antisemitismus eine Türe schließen. Denn neben ansteigender Fremden- und Islamfeindlichkeit greift auch der Antisemitismus in den letzten Jahren wieder zunehmend um sich. 75 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs mag man sich Bewusstsein über die Gefahren solchen Gedankenguts erhoffen. Allerdings zeigen die Entwicklungen der letzten Jahre leider: So ist Österreich nicht, jedenfalls noch nicht. Es gilt, ein Mahnmal zu schaffen und sich klar gegen den Antisemitismus zu positionieren und nicht, alle Überbleibsel ungeliebter österreichischer Geschichte zu vertuschen. Eine Informationstafel zur Kontextualisierung am Karl-Lueger-Platz reicht nicht aus, um das Denkmal mit seiner beeindruckenden Dimension und Platzierung an prominenter Stelle im öffentlichen Raum seiner Wirkmächtigkeit zu berauben. Diese kann man schließlich lesen oder eben auch nicht. Um zu verhindern, dass das Lueger-Denkmal zu einer Pilgerstätte für Gleichgesinnte verkommt, was es bereits tut, bedarf es einer drastischen (künstlerischen) Umstrukturierung. Überlegungen dazu gibt es reichlich.
CHANTAL SCHLACHER
Steigt man bei Stubentor aus der U-Bahn aus und geht die Treppen hinauf, ist man direkt beim Karl-Lueger-Denkmal. Die Statue des ambivalenten, österreichischen Politikers steht auf einem prominenten Platz, direkt am Wiener Ring und verbindet die zwei zentralen Bezirke Innere Stadt und Landstraße miteinander. Man kann sich also vorstellen, dass viele Tourist*innen diese Ecke Wiens gerne ansteuern und dass aufgrund der Lage im Stadtzentrum eifrig um die Statue spaziert wird. Lange Zeit stand das Denkmal so vor sich hin; jetzt gerade sieht man noch die roten Graffiti-Schriftzüge die „Schande“ schreien. Sie entstanden im Rahmen der einwöchigen Kunstaktion “Schandwache”, deren Forderung die radikale Umgestaltung des Denkmals ist. Wieder ein anderes Mal ließ man für die Dauer von drei Wochen einen Banner mit einer Abbildung Ute Bocks und zwei Geflüchteten davor errichten. Dabei handelte es sich ebenfalls um eine temporäre Kunstinstallation der Künstler*innen Peter Fritzenwallner und Ines Hochgerner von April bis Mai 2019, die das Antlitz des Lueger Denkmals mit einer Plakatwand verhängen. Manchmal wiederum fungiert das Monument als Treffpunkt für Rechtsextreme. Im September 2019 versammelte sich hier die Identitären Bewegung zu einer Kundgebung vor dem Denkmal, FPÖ-Politiker nutzen die Präsenz der Statue zur szenischen Untermalung ihrer Reden und auch die rechtsextreme Gruppe „Okzident“ ruft zu Zusammenkünften Identitärer vor der Statue.[1] Und so steht Lueger eben in der Gegend, inmitten all dieser unterschiedlichen Bedeutungen.
Die Ambivalenz der Persönlichkeit Karl Luegers rührt daher, dass er zwei Eigenschaften in sich vereint: Er war Bürgermeister und Begründer der Christlichsozialen Partei und gleichzeitig ausgesprochener Antisemit und Wetteiferer gegen das Judentum. Ja, beides auf einmal. Gerät der ehemalige Bürgermeister bei Diskussionen um die Umbenennung seines Platzes und der Umgestaltung seines Denkmals in eine Schieflage, wird seine erste Tätigkeit hervorgehoben. Man könne ihm seine Wohltaten für die österreichische Hauptstadt nicht absprechen, nur weil er eben auch Antisemit war. Die Berechtigung einer Statue sei zum damaligen Zeitpunkt gegeben gewesen. Man spricht auch davon, dass Lueger sich in seiner frühen politischen Phase durch seinen „Verbalantisemitismus“ auszeichnete, der dem Ton der Zeit entsprach und daher seiner politischen Karriere nützte.[2] Er solle deshalb aber nicht als überzeugter Antisemit missverstanden werden, schreiben Franz Schausberger und Hannes Schönner in ihrem Gastkommentar in der Wiener Zeitung. Wird in Österreich etwa zwischen Statuen überzeugter und halbherziger, vollinvestierter und laschen Antisemiten unterschieden? Oder gilt es am Ende nicht doch Antisemitismus zu verurteilen und zu bewerten genau dafür, was es ist - menschenfeindlich und gefährlich? Reicht es aus Statuen, die Redensführer antisemitischer Gedanken abbilden, visuell zu kennzeichnen oder bedarf es mehr Aufwand um sie aus ihrem heroischen Kontext herauszuheben? Es ist wahrscheinlich mehr notwendig als eine bloße Tafel, die nur besonders ehrgeizige Tourist*innen und Neugierige lesen.
Ich denke, eben weil Erinnerungen die Eigenschaft besitzen sich in ständiger Veränderung und Neudefinition zu befinden, müssen auch die Monumente, die unsere Alltagswelt bevölkern, sich mit uns wandeln und unsere politische Haltung mitabbilden. Unsere Meinung kann sich ändern und unsere Monumente können sich an diese adaptieren.[3] Die Verwandlung unseres Wissens ist ein andauernder Prozess und unsere Erinnerungen sind nie vollends abgeschlossen. Genauso wie wir diese ständig umbauen, wenn neue Einflüsse und Inputs erscheinen, können wir auch mit den in Stein gehauenen Beweisen unserer Geschichte umgehen.
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