Chantal Schlacher
Manon Fougère
Christina Schweiger
Jessika Khazrik for the Society of False Witnesses, VRLAMXXAB8ND, 2020, Ausstellungsansicht ... von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden, Kunsthalle Wien, Wien, 2020, Foto Credits: Jorit Aust
Chantal Schlacher
In der aktuellen Ausstellung der Kunsthalle Wien … von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden stellt Jessika Khazrik eine multimediale Raumarbeit aus, die auf mehreren Kanälen kommuniziert. Die Arbeit VRLAMXXAB8ND, 2020, umfasst Sound, Schrift, Bild und Licht. Sie reflektiert Khazriks gewaltsame Erfahrung mit ihrer Bank im Januar diesen Jahres in Beirut. Bei dem Versuch am 10. Januar 2020 Bargeld abzuheben, wurde die Künstlerin von Bankbeamten attackiert und gegen ihren Willen festgehalten. Anschließend wurde sie von der Polizei verhaftet. Der Angriff auf ihre Privatsphäre und ihre Rechte dauert weiterhin an, da sie mit Einreichung einer Klage die Rechtsverstöße der Bank und des Staates offengelegt hat und fortan von diesen mit Disziplinierungsmaßnahmen bedroht wird. Der gewaltvolle Eingriff in das Leben eines Individuums steht in Zusammenhang mit der Willkür des Staates, der mit beliebigen Mitteln Ruhe schaffen will, um die seit Oktober dauernden Proteste und Streiks zu unterdrücken.
Große magentafarbene Schwingtüren führen aus dem weißen Museumsraum in die Welt, die Khazrik aus eindrucksvollen Klängen und Lichtern geschaffen hat. Dort passieren viele Dinge gleichzeitig. Lichter kommen aus verschiedenen Ecken, Musik dringt aus den an Ketten befestigten Lautsprechern, und der ganze Raum ist in das bereits am Eingang erfahrbare Magenta getaucht. Diese Vielzahl an Eindrücken mag im ersten Moment wie ein Durcheinander wirken, doch die Zusammenstellung folgt einem strengen Prinzip. Die Lautsprecherköpfe befinden sich alle im selben Abstand von 4 Metern zueinander. Sie sind in den vier Himmelsrichtungen positioniert und stehen dabei so, dass ihr Ton in die Mitte gerichtet ist. Dadurch entsteht ein Raum, der sowohl von der Position und Ausrichtung der Musikboxen als auch von den aus ihnen dringenden Tönen bestimmt wird, die sich im Zentrum treffen und dort am intensivsten erfahrbar werden. Die Beziehung und Abhängigkeit zwischen dem materiellen und auditiven Rahmen lässt eine intensive Raumerfahrung entstehen. Dem entgegen steht ein fünfter Lautsprecher, der bewusst so platziert wurde, dass er in diese mathematische Harmonie eingreift und die anderen Lautsprecher beschallt. Er sorgt für Unruhe. Er stört, weil er außerhalb des vierteiligen Rahmens steht und durch seinen Ton für Dissonanz sorgt. Und er scheint damit ganz allein zu sein. Nichtsdestotrotz folgt die Musik aller Lautsprecher demselben Tempo, sie dröhnen gemeinsam auf 200 bpm. Sie bleiben dadurch verbunden und zugleich zerstritten. Liest man dies in Zusammenhang mit Khazriks Inhaftierungs-Erfahrung und interpretiert es in Bezug auf das gesellschaftspolitische Gerüst Libanons, so wird deutlich, dass sich “Klein”-Kontoinhaber und Bank in einem ähnlichen Verhältnis gegenüberstehen. Dabei würde die vierköpfige Lautsprechereinheit das stabile System Bank abbilden, dem der kleine Lautsprecher in Form des einzelnen Individuums als Kontoinhaber gegenübersteht. Die Anwesenheit des einen ist durch die der Anderen bedingt, doch diese bedingende Existenz wird durch die ungleiche Machtverteilung, insbesondere die etablierte Vormachtstellung der Institution, problematisch. Die kapitalismuskritische Komponente des Werks ist unüberhörbar.
Die Struktur der Arbeit geht zurück auf die Erinnerung der Künstlerin an den Arrest in einer 2-Quadratmeter-Zelle im Bankgebäude. Die Enge des Raumes, in dem sie festgehalten wurde, wird dabei in der Installation vervielfacht. Die Grenzen der Lautsprecher sind verdoppelt, die gesamte Arbeit steht in einem großen Raum und lässt dem Besucher viel Platz. Der weite Raum im Kontrast zur Freiheitsberaubung der Künstlerin, deren Beschreibung im Raum als Text aufliegt, lädt dazu ein, über Fragen der Begrenzung und Restriktion nachzudenken, im räumlichen wie im rechtlichen Sinn. Welche Rechte stehen uns zu und unter welchen Umständen? Wie selbstverständlich sind diese Rechte und wie leicht können sie beschränkt werden? Was ist das Fundament meiner Freiheit und inwiefern ist diese gebunden an die monetäre Abhängigkeit des Einzelnen von Ersparnissen und an die Wirtschaftlichkeit des Staates? Wenn das Individuum mit rechtswidrigen Handlungen seitens des Staates konfrontiert wird, und sich selbst in rechtlicher Ohnmacht befindet, die durch die langjährige Oligarchie legitimiert wird, werden solche Fragen dringlich und existenziell.
VRLAMXXAB8ND ist ein Aufruf zur Verunsicherung. Die Offenlegung der kriminellen Handlung des libanesischen Staatsapparates, die damit verbundene Lebensgefahr für die Künstlerin sowie die Vehemenz der körperlichen Raumerfahrung alarmieren einen augenblicklich. Es ist ein Appell an das Bewusstsein des Ausstellungsbesuchers für Wirtschaft als gemeinschaftlich geteilte Sorge. Auch wenn Khazrik im Kontext eines westlichen Museums von einer libanesischen Erfahrung erzählt: In einer fortschreitend globalisierten Zeit ist ihre Welt auch unsere Welt.
Manon Fougère
Im installativen Werk VRLAMXXAB8ND reflektiert Jessika Khazrik ihre persönliche Erfahrung mit dem oligarchischen System im Libanon. Die Installation nimmt direkt Bezug auf eine selbst erlebte Haftsituation in einer Bank ihres Heimatlandes und setzt sich offenbar zum Ziel, Dynamiken, die zwischen dem Bankwesen und dem Überwachungsstaat herrschen und die resultierende repressive Macht kritisch zu reflektieren. Der hier inszenierte geschlossene Raum stellt sich bereits beim Betreten als besonders imponierend dar. Das Tondispositiv ist laut und arrhythmisch, die Beleuchtung blendet und ist ebenfalls unregelmäßig. Der Körper, der sich in diesen hermetischen, dunklen und dichten, fast leeren, gleichzeitig aber sehr lebendigen Raum wagt, wird schnell von seinem immersiven Charakter erfasst. Durch das Ausstellen in der Kunsthalle sollen die persönliche Erfahrung der Künstlerin beziehungsweise die repressiven Handlungen des libanesischen Staatsapparates nicht nur sichtbar gemacht, sondern auch international angezeigt werden. Aus der Arbeit ergibt sich somit das Hinterfragen des politischen Potenzials des Ausstellens als öffentliche Ausdrucksmöglichkeit. Wie lässt sich das kritische Potenzial auf die Betrachter_innen übertragen? Meine erste Wahrnehmung des Werks führt mich dazu, über seine Effekte, beziehungsweise die ursprüngliche Intention Khazriks nachzudenken: Inwiefern ist eine solche Installation günstig für eine kritische Auseinandersetzung mit einer so komplexen Problematik – nicht nur für die Künstlerin, sondern besonders auch für die Betrachter_innen?
Zwei Dynamiken lassen sich erkennen: Jessika Khazrik versucht einerseits eigene Wahrnehmungen sowie kontextuelle ökonomische beziehungsweise politische Ereignisse miteinander in Verbindung zu setzen und dafür einen gemeinsamen Ausdruck zu finden. Andererseits geht es ihr um neue Effekte, welche die Betrachter_innen zum kritischen Mitdenken anregen sollen. Die Inszenierung scheint aber auf den ersten Blick nur teilweise zu funktionieren. Während sie die vielfältige Gewalt, die die Libanesin in diesem Kontext erlebte, suggeriert und zum Teil auch durch überraschende Effekte der Licht- und Toninstallation nachfühlbar macht, ermöglicht sie auch Assoziationen zum Nachtleben, die uns unterhaltsam erscheinen und uns so vielleicht eher zu einem passiven Konsumieren als zum kritischen Denken führen. In Anbetracht dieser Assoziation ist der betretene Raum gar nicht mehr so entfremdend. Allerdings sprechen die auf dem Boden der Ausstellungsfläche abgedruckten Appelle – unter anderem: “de-value all currencies”, “de-militarize computing”, “decipher proprietary systems“ – gegen die unpolitischere Interpretation. Die Sätze drücken konkrete Aufforderungen aus und unterstützen so die Dekodierung von Jessika Khazriks Symbolik; sie weisen deutlicher auf das politische Engagement hin als die rein visuelle und auditive Inszenierung. Das Werk bekommt einen klareren Rahmen. Durch das Lesen verstehe ich die Installation plötzlich als eindeutigen Protest. Die plakatierten Befehlsformen funktionieren als – vielleicht zu? – starke Orientierungsmittel und erscheinen mir zugleich etwas begrenzend. Aus der Mischung aus treasure box und Haftzelle ergeben sich somit diskrepante Wahrnehmungsprozesse. Während die eingesetzten Medien durch ihre gleichzeitige und überraschende Anwendung viel Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, sind die Betracher_innen angehalten, an dieser kritischen, mutigen Geste teilzunehmen. Die Grenze zwischen Unterhaltung und politischem Engagement scheint hier aber nicht mehr eindeutig. Durch ihren Kontrast bündeln sich die unterschiedlichen Wahrnehmungen nicht leicht zum anvisierten Denkanstoß; der immersive Charakter des Dispositivs scheint sich hier der Anregung zum kritischen Denken zu widersetzen und führt uns eher zu einer intensiven körperlichen Erfahrung, die von visuellen und auditiven Stimuli ausgeht.
Christina Schweiger
Lichtbahnen flirren im fensterlosen Raum. Die roten Wände sind in purpurnes Licht getaucht. Dazu schnelle Beats und eine synthesizerverzerrte Stimme aus Lautsprechern. Das Ambiente erinnert an einen Tanzclub in einem Keller. Doch die Rauminstallation VRLAMAXXAB8ND (2020) von Jessika Khazrik (*1991 in Beirut) ist kein stylisch-unaussprechlicher Name für einen Nachtclub, sondern die verklausulierte Bezeichnung für eine Bank im Libanon. VRLAMAXXAB8ND ist hochpolitisch und hochbrisant. Denn der Libanon ist pleite. Der dance of money, von dem Jessika Kharzik spricht,[1] ist ausgetanzt. Das Staats- und Bankensystem ist zusammengebrochen. Die angebotene Hilfe der Weltbank wird abgelehnt.
The State is a Bank, hat es Jessika Khazrik bei Ausstellungseröffnung im März 2020 auf den Punkt gebracht. Banken beherrschen den Staat, agieren im Libanon wie Staatsgewalten. Das musste die Multimediakünstlerin im Jänner diesen Jahres am eigenen Leib erfahren. Sie wurde beim Geldabheben in einer Bank in ihrer Heimatstadt festgehalten und bedroht. Die Erfahrungen dieser Repressalien und deren politische Dimension verarbeitet sie in ihrer Installation. Sie bezieht klar Stellung: decipher proprietary systems oder de-value all currencies steht in großen Lettern auf dem Fußboden. In Erinnerung an den Verhörraum in der Bank inszeniert sie den Raum als intergalactic prison, zugleich als treasure box und dance floor,[2] geheimnisvoll blinkend, düster und einschüchternd. Auf einem stelenartigen Betonquader, den vier große Lautsprecher flankieren, die in schweren Ketten von der Decke hängen, steht ein leeres Wasserglas. Daneben liegt ein Elektroschocker. In unmittelbarer Nähe ist eine Deckenkamera angebracht. Und man fragt sich, ob sie Teil der Kunstinstallation ist, oder eine Sicherheitsmaßnahme des Museums. Ein ähnlich doppelbödiges Spiel bietet das Fluchtwegschild oberhalb der Schwingtür.
Zwei Kinder, die in Begleitung ihrer Eltern das Museum besuchen, bleiben an der Türschwelle stehen und werfen nur einen kurzen Blick in den Raum. Ihr instinktives Verhalten, hervorgerufen von der atmosphärischen Wirkung der Installation, erscheint im Wissen um die Hintergründe der Installation absolut sinnvoll: Die beiden Kinder setzen sich dem, was der Raum transportiert und ins Künstlerische transferiert, nicht aus. Sie tun das, was Jessika Khazrik bei ihrem Aufenthalt in der Bank nicht möglich war: zu gehen – aus freien Stücken.
Ausstellungsansicht: ... von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden, Kunsthalle Wien 2020,
Foto: Jorit Aust: Jessika Khazrik for the Society of False Witnesses, VRLAMXXAB8ND, 2020, Courtesy die
Künstlerin
[1] www.youtube.com/watch?v=vNPwkd_XdqQ
[2] www.youtube.com/watch?v=vNPwkd_XdqQ
Chantal Schlacher
In der aktuellen Ausstellung der Kunsthalle Wien … von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden stellt Jessika Khazrik eine multimediale Raumarbeit aus, die auf mehreren Kanälen kommuniziert. Die Arbeit VRLAMXXAB8ND, 2020, umfasst Sound, Schrift, Bild und Licht. Sie reflektiert Khazriks gewaltsame Erfahrung mit ihrer Bank im Januar diesen Jahres in Beirut. Bei dem Versuch am 10. Januar 2020 Bargeld abzuheben, wurde die Künstlerin von Bankbeamten attackiert und gegen ihren Willen festgehalten. Anschließend wurde sie von der Polizei verhaftet. Der Angriff auf ihre Privatsphäre und ihre Rechte dauert weiterhin an, da sie mit Einreichung einer Klage die Rechtsverstöße der Bank und des Staates offengelegt hat und fortan von diesen mit Disziplinierungsmaßnahmen bedroht wird. Der gewaltvolle Eingriff in das Leben eines Individuums steht in Zusammenhang mit der Willkür des Staates, der mit beliebigen Mitteln Ruhe schaffen will, um die seit Oktober dauernden Proteste und Streiks zu unterdrücken.
Große magentafarbene Schwingtüren führen aus dem weißen Museumsraum in die Welt, die Khazrik aus eindrucksvollen Klängen und Lichtern geschaffen hat. Dort passieren viele Dinge gleichzeitig. Lichter kommen aus verschiedenen Ecken, Musik dringt aus den an Ketten befestigten Lautsprechern, und der ganze Raum ist in das bereits am Eingang erfahrbare Magenta getaucht. Diese Vielzahl an Eindrücken mag im ersten Moment wie ein Durcheinander wirken, doch die Zusammenstellung folgt einem strengen Prinzip. Die Lautsprecherköpfe befinden sich alle im selben Abstand von 4 Metern zueinander. Sie sind in den vier Himmelsrichtungen positioniert und stehen dabei so, dass ihr Ton in die Mitte gerichtet ist. Dadurch entsteht ein Raum, der sowohl von der Position und Ausrichtung der Musikboxen als auch von den aus ihnen dringenden Tönen bestimmt wird, die sich im Zentrum treffen und dort am intensivsten erfahrbar werden. Die Beziehung und Abhängigkeit zwischen dem materiellen und auditiven Rahmen lässt eine intensive Raumerfahrung entstehen. Dem entgegen steht ein fünfter Lautsprecher, der bewusst so platziert wurde, dass er in diese mathematische Harmonie eingreift und die anderen Lautsprecher beschallt. Er sorgt für Unruhe. Er stört, weil er außerhalb des vierteiligen Rahmens steht und durch seinen Ton für Dissonanz sorgt. Und er scheint damit ganz allein zu sein. Nichtsdestotrotz folgt die Musik aller Lautsprecher demselben Tempo, sie dröhnen gemeinsam auf 200 bpm. Sie bleiben dadurch verbunden und zugleich zerstritten. Liest man dies in Zusammenhang mit Khazriks Inhaftierungs-Erfahrung und interpretiert es in Bezug auf das gesellschaftspolitische Gerüst Libanons, so wird deutlich, dass sich “Klein”-Kontoinhaber und Bank in einem ähnlichen Verhältnis gegenüberstehen. Dabei würde die vierköpfige Lautsprechereinheit das stabile System Bank abbilden, dem der kleine Lautsprecher in Form des einzelnen Individuums als Kontoinhaber gegenübersteht. Die Anwesenheit des einen ist durch die der Anderen bedingt, doch diese bedingende Existenz wird durch die ungleiche Machtverteilung, insbesondere die etablierte Vormachtstellung der Institution, problematisch. Die kapitalismuskritische Komponente des Werks ist unüberhörbar.
Die Struktur der Arbeit geht zurück auf die Erinnerung der Künstlerin an den Arrest in einer 2-Quadratmeter-Zelle im Bankgebäude. Die Enge des Raumes, in dem sie festgehalten wurde, wird dabei in der Installation vervielfacht. Die Grenzen der Lautsprecher sind verdoppelt, die gesamte Arbeit steht in einem großen Raum und lässt dem Besucher viel Platz. Der weite Raum im Kontrast zur Freiheitsberaubung der Künstlerin, deren Beschreibung im Raum als Text aufliegt, lädt dazu ein, über Fragen der Begrenzung und Restriktion nachzudenken, im räumlichen wie im rechtlichen Sinn. Welche Rechte stehen uns zu und unter welchen Umständen? Wie selbstverständlich sind diese Rechte und wie leicht können sie beschränkt werden? Was ist das Fundament meiner Freiheit und inwiefern ist diese gebunden an die monetäre Abhängigkeit des Einzelnen von Ersparnissen und an die Wirtschaftlichkeit des Staates? Wenn das Individuum mit rechtswidrigen Handlungen seitens des Staates konfrontiert wird, und sich selbst in rechtlicher Ohnmacht befindet, die durch die langjährige Oligarchie legitimiert wird, werden solche Fragen dringlich und existenziell.
VRLAMXXAB8ND ist ein Aufruf zur Verunsicherung. Die Offenlegung der kriminellen Handlung des libanesischen Staatsapparates, die damit verbundene Lebensgefahr für die Künstlerin sowie die Vehemenz der körperlichen Raumerfahrung alarmieren einen augenblicklich. Es ist ein Appell an das Bewusstsein des Ausstellungsbesuchers für Wirtschaft als gemeinschaftlich geteilte Sorge. Auch wenn Khazrik im Kontext eines westlichen Museums von einer libanesischen Erfahrung erzählt: In einer fortschreitend globalisierten Zeit ist ihre Welt auch unsere Welt.
Manon Fougère
Im installativen Werk VRLAMXXAB8ND reflektiert Jessika Khazrik ihre persönliche Erfahrung mit dem oligarchischen System im Libanon. Die Installation nimmt direkt Bezug auf eine selbst erlebte Haftsituation in einer Bank ihres Heimatlandes und setzt sich offenbar zum Ziel, Dynamiken, die zwischen dem Bankwesen und dem Überwachungsstaat herrschen und die resultierende repressive Macht kritisch zu reflektieren. Der hier inszenierte geschlossene Raum stellt sich bereits beim Betreten als besonders imponierend dar. Das Tondispositiv ist laut und arrhythmisch, die Beleuchtung blendet und ist ebenfalls unregelmäßig. Der Körper, der sich in diesen hermetischen, dunklen und dichten, fast leeren, gleichzeitig aber sehr lebendigen Raum wagt, wird schnell von seinem immersiven Charakter erfasst. Durch das Ausstellen in der Kunsthalle sollen die persönliche Erfahrung der Künstlerin beziehungsweise die repressiven Handlungen des libanesischen Staatsapparates nicht nur sichtbar gemacht, sondern auch international angezeigt werden. Aus der Arbeit ergibt sich somit das Hinterfragen des politischen Potenzials des Ausstellens als öffentliche Ausdrucksmöglichkeit. Wie lässt sich das kritische Potenzial auf die Betrachter_innen übertragen? Meine erste Wahrnehmung des Werks führt mich dazu, über seine Effekte, beziehungsweise die ursprüngliche Intention Khazriks nachzudenken: Inwiefern ist eine solche Installation günstig für eine kritische Auseinandersetzung mit einer so komplexen Problematik – nicht nur für die Künstlerin, sondern besonders auch für die Betrachter_innen?
Zwei Dynamiken lassen sich erkennen: Jessika Khazrik versucht einerseits eigene Wahrnehmungen sowie kontextuelle ökonomische beziehungsweise politische Ereignisse miteinander in Verbindung zu setzen und dafür einen gemeinsamen Ausdruck zu finden. Andererseits geht es ihr um neue Effekte, welche die Betrachter_innen zum kritischen Mitdenken anregen sollen. Die Inszenierung scheint aber auf den ersten Blick nur teilweise zu funktionieren. Während sie die vielfältige Gewalt, die die Libanesin in diesem Kontext erlebte, suggeriert und zum Teil auch durch überraschende Effekte der Licht- und Toninstallation nachfühlbar macht, ermöglicht sie auch Assoziationen zum Nachtleben, die uns unterhaltsam erscheinen und uns so vielleicht eher zu einem passiven Konsumieren als zum kritischen Denken führen. In Anbetracht dieser Assoziation ist der betretene Raum gar nicht mehr so entfremdend. Allerdings sprechen die auf dem Boden der Ausstellungsfläche abgedruckten Appelle – unter anderem: “de-value all currencies”, “de-militarize computing”, “decipher proprietary systems“ – gegen die unpolitischere Interpretation. Die Sätze drücken konkrete Aufforderungen aus und unterstützen so die Dekodierung von Jessika Khazriks Symbolik; sie weisen deutlicher auf das politische Engagement hin als die rein visuelle und auditive Inszenierung. Das Werk bekommt einen klareren Rahmen. Durch das Lesen verstehe ich die Installation plötzlich als eindeutigen Protest. Die plakatierten Befehlsformen funktionieren als – vielleicht zu? – starke Orientierungsmittel und erscheinen mir zugleich etwas begrenzend. Aus der Mischung aus treasure box und Haftzelle ergeben sich somit diskrepante Wahrnehmungsprozesse. Während die eingesetzten Medien durch ihre gleichzeitige und überraschende Anwendung viel Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, sind die Betracher_innen angehalten, an dieser kritischen, mutigen Geste teilzunehmen. Die Grenze zwischen Unterhaltung und politischem Engagement scheint hier aber nicht mehr eindeutig. Durch ihren Kontrast bündeln sich die unterschiedlichen Wahrnehmungen nicht leicht zum anvisierten Denkanstoß; der immersive Charakter des Dispositivs scheint sich hier der Anregung zum kritischen Denken zu widersetzen und führt uns eher zu einer intensiven körperlichen Erfahrung, die von visuellen und auditiven Stimuli ausgeht.
Christina Schweiger
Lichtbahnen flirren im fensterlosen Raum. Die roten Wände sind in purpurnes Licht getaucht. Dazu schnelle Beats und eine synthesizerverzerrte Stimme aus Lautsprechern. Das Ambiente erinnert an einen Tanzclub in einem Keller. Doch die Rauminstallation VRLAMAXXAB8ND (2020) von Jessika Khazrik (*1991 in Beirut) ist kein stylisch-unaussprechlicher Name für einen Nachtclub, sondern die verklausulierte Bezeichnung für eine Bank im Libanon. VRLAMAXXAB8ND ist hochpolitisch und hochbrisant. Denn der Libanon ist pleite. Der dance of money, von dem Jessika Kharzik spricht,[1] ist ausgetanzt. Das Staats- und Bankensystem ist zusammengebrochen. Die angebotene Hilfe der Weltbank wird abgelehnt.
The State is a Bank, hat es Jessika Khazrik bei Ausstellungseröffnung im März 2020 auf den Punkt gebracht. Banken beherrschen den Staat, agieren im Libanon wie Staatsgewalten. Das musste die Multimediakünstlerin im Jänner diesen Jahres am eigenen Leib erfahren. Sie wurde beim Geldabheben in einer Bank in ihrer Heimatstadt festgehalten und bedroht. Die Erfahrungen dieser Repressalien und deren politische Dimension verarbeitet sie in ihrer Installation. Sie bezieht klar Stellung: decipher proprietary systems oder de-value all currencies steht in großen Lettern auf dem Fußboden. In Erinnerung an den Verhörraum in der Bank inszeniert sie den Raum als intergalactic prison, zugleich als treasure box und dance floor,[2] geheimnisvoll blinkend, düster und einschüchternd. Auf einem stelenartigen Betonquader, den vier große Lautsprecher flankieren, die in schweren Ketten von der Decke hängen, steht ein leeres Wasserglas. Daneben liegt ein Elektroschocker. In unmittelbarer Nähe ist eine Deckenkamera angebracht. Und man fragt sich, ob sie Teil der Kunstinstallation ist, oder eine Sicherheitsmaßnahme des Museums. Ein ähnlich doppelbödiges Spiel bietet das Fluchtwegschild oberhalb der Schwingtür.
Zwei Kinder, die in Begleitung ihrer Eltern das Museum besuchen, bleiben an der Türschwelle stehen und werfen nur einen kurzen Blick in den Raum. Ihr instinktives Verhalten, hervorgerufen von der atmosphärischen Wirkung der Installation, erscheint im Wissen um die Hintergründe der Installation absolut sinnvoll: Die beiden Kinder setzen sich dem, was der Raum transportiert und ins Künstlerische transferiert, nicht aus. Sie tun das, was Jessika Khazrik bei ihrem Aufenthalt in der Bank nicht möglich war: zu gehen – aus freien Stücken.
Ausstellungsansicht: ... von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden, Kunsthalle Wien 2020,
Foto: Jorit Aust: Jessika Khazrik for the Society of False Witnesses, VRLAMXXAB8ND, 2020, Courtesy die
Künstlerin
[1] www.youtube.com/watch?v=vNPwkd_XdqQ
[2] www.youtube.com/watch?v=vNPwkd_XdqQ
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