Anna Höfling

Chantal Schlacher

Jonathan Seiffert

Jakob Lena Knebl’s Tina // Ruth Anne

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Jakob Lena KneblRuth Anne, Ausstellungsansicht Ruth Anne, Georg Kargl Fine Arts, Wien, 2020, Foto Credits: kunst-dokumentation.com

Anna Höfling

Bereits durch die große Fensterscheibe macht sich eine grüne Gestalt erkennbar und lässt Passant*innen näher herantreten. Der korpulente Körper aus grünem Leder hängt etwas schlaff in der schwarz-stählernen Stütze; ihm fehlen sein rechtes Bein und der Unterarm. Weich wird das Knie, und er möchte in sich zusammensacken, zu Boden plumpsen, und bleibt doch gerade stehen wie ein Zinnsoldat. Über ihm schwebend thront ein großer, schwerer Kopf aus Keramik, übersät mit roten Pusteln. Sie ziehen Schlieren, verrinnen genau wie die schwarzen Augen und Lippen, deren glänzende Farbe bald auf die glatte Brust zu tropfen droht. Verbissen blickt das breite Gesicht geradeaus, hält den schweren Kopf unter Schweiß und Tränen tapfer auf den hängenden Schultern –  und bleibt doch emotionslos. Die Gestalt blickt vorbei an dem ausladenden Bett aus sinnlichem Samt aus einer anderen Zeit (ob Vergangenheit oder Zukunft), auf dem ihre amputierten, glatten Gliedmaßen wie Prothesen in zotteligem Fell liegen. An einer goldenen Kette hängen zwei Brüste, eine Vulva, ein Phallus – bereit, als Schmuckstück getragen zu werden. Von wem, bleibt dabei offen, denn die Gestalt verharrt stumm in ihrer Ecke.

Jakob Lena Knebl, deren Arbeiten kürzlich in der Galerie Georg Kargl zu sehen waren, nennt die Puppe Tina. Sie ist Teil einer Installation aus dem Jahre 2019. John, Joan und Edgar heißen die anderen geschlechtslosen Wesen in der Ausstellung. Mit Tina bezeichnet sich Knebl selbst, die durch Film, Fotomontage oder Bodypainting gerne selbst Teil ihrer körperlichen Kunst wird. Ruth Anne fungiert als ihr esoterisches Alter Ego. Wie Pipilotti Rist bedient Knebl sich des Designs, um den Ausstellungsraum zu transformieren, einen emotionalen Erlebnisraum zu schaffen, und so einen niederschwelligen Zugang zu ermöglichen, der im institutionellen Kontext natürlich nur begrenzt realisiert werden kann. Wenn beispielsweise ein blauer Teppichstreifen überquert werden muss, damit wir uns den queeren Kunstwerken „am anderen Ufer“ annähern können, und um den Ausstellungsrundgang fortzusetzen, entsteht Irritation oder Unsicherheit. Offenbar handelt es sich um den Teil eines Werkes und nicht einfach um Bodenbelag. An solchen Stellen der Ausstellung verschwimmen die Grenzen zwischen Kunst und Kuration. Mit dem Respekt einer Kunstgeschichtsstudentin stand ich lange davor, bis ich wagte, diesen Teppich mit Füßen zu (be-)treten und musste dabei über mich selbst den Kopf schütteln.

Auch mit diversen Materialien spielt Knebl hier gerne: Das Bett neben Tina kreiert mit seinem Kontrast aus harten, glänzend-spiegelnden sowie weichen, samtig-haarigen Oberflächen eine sinnliche Atmosphäre. Ohne dass ich es wage, das zu Kunst gewordene Objekt tatsächlich zu berühren, kann ich die Strukturen nahezu auf der Haut fühlen; aus dem eingebauten, verstummen Radio - so stelle ich mir vor -  erklingt leise Careless Whisper von George Michael. Durch die Materialien und die offensichtliche Thematik wirkt die Szene dieses Monodramas, in dem das grüne Wesen zur  Hauptakteurin eines Science-Fiction Films der 70er Jahre wird, sehr überspitzt. Leder macht aus der Figur ein Fetischobjekt, die Goldkette verwandelt primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale in Modeaccessoires. Im Gegensatz zu aufblasbaren Gummipuppen zeigt sich Tina füllig, schwer und körperlich. Könnte sie mit ihrer plumpen Hand nach den auf dem Bett liegenden Genitalien greifen, so blieben sie an ihrem Körper wohl genauso nutzlos wie die Extremitäten, die - lediglich mit Druckknopf befestigt - keinesfalls zu irgendeiner Funktion befähigt sind.

Knebl als queere Person spielt mit der Diskrepanz von sex und gender, bricht mit Heteronormativität und dekonstruiert den Körper, der klar vom Kopf abgetrennt ist, und schafft ein zugängliches und doch spannendes, facettenreiches und politisches Werk. Dies tut sie unter Rückgriff auf organische und synthetische Materialien, die eine atmosphärische Szenerie kreieren. Materialien, die in ihrer Produktion und Verarbeitung traditionell als weiblich angesehen werden. Diese kontrastiert  sie mit „männlichen”. Besonders Leder spielt hier eine zentrale Rolle und erinnert an Fetischobjekte oder -kostüme. Als zum Produkt gewordenes Organ haucht Leder Tina, der geschlechtslosen Puppe mit dem weiblichen Namen, Leben ein, indem es sie als wiedererstandene Haut überzieht.

Chantal Schlacher

Ende Mai schloss in der Galerie Georg Kargl Fine Arts die Ausstellung Ruth Anne von Jakob Lena Knebl. Dennoch gibt es viele Gründe über die dort ausgestellten Objekte nachzudenken  - zum einen weil Knebl wichtige sozialpolitische Themen anspricht, zum anderen weil die Künstlerin uns noch häufig in Ausstellungsräumen begegnen wird. Schließlich wird Knebl unter anderem den österreichischen Pavillon auf der Biennale in Venedig 2022 bespielen, die wegen der Coronakrise um ein Jahr verschoben wurde. 

Trotz Online-Tour durch die Räumlichkeiten auf der Galerie-Website, lohnt sich die Raumerfahrung. Denn nicht nur unser Körper reagiert auf Knebls Arbeiten, sondern die menschgewordenen Puppen sprechen unseren Körper direkt an, schüchtern den Besucher ein, oder betören durch ihre körperliche Gegenwart. Über zwei Stockwerke sammeln sich die straffen Wesen aus Leder, deren Körperlichkeit nicht nur von der Anlehnung an die menschliche Plastizität leben, sondern ebenso von deren Ausfüllung mit organischem Material. Schaufensterpuppen und aufblasbare Plastikpuppen stehen in einem ganz anderen Verhältnis zu unseren Körpern als diese Wesen, sie sind leer, ohne Füllung und daher tot. Sie sind ungesund und perfekt. Knebls Körper hingegen sind Einzelteile. Sie zeichnen sich durch ihre Unvollständigkeit und Unvollkommenheit aus. Oft sind die Puppenkörper von ihren Porzellan-Köpfen getrennt. Die Künstlerin sucht „Alternativen zu normativen und kommerzialisierten Begehren. Objekte sind auch Körper im Raum, Fetisch ist ein sehr interessanter Motor in unserer Beziehung zu Körpern, Materialien und Dingen“. Die Fetischisierung dieser Körper beginnt direkt beim Betreten des Ausstellungsraumes, der durch die verglaste Auslage auch von der Straße einsehbar ist. Man sieht in ein Schlafzimmer, einen intimen Raum, hier zu einer Auslage und Einladung umgestaltet. Auf dem Bett liegen zerstückelt, einzeln und getrennt Körperteile, die durch eine goldene Kette zusammengehalten werden. Aufgelöst in ihre Einzelteile, aber durch ihre Assoziation zum Menschenkörper ihre Lebendigkeit erhaltend, ziehen die Gliedmaßen unseren  Blick an. Knebl holt uns durch ihre inszenierte Körperlichkeit in eine Welt von Begehren und evoziert dabei Scham, wenn man durch diese ungewohnt nackte Welt wandelt. Ihre Arbeiten wirken wie Momente aus einem fatalen Spiel, einem geheimen Ritus, einer Sexualpraktik.

Die Figuren erscheinen in verschiedenen Konstellationen und Umgebungen. Im unteren Stockwerk befindet sich eine vergnügte Familienkomposition in quietsch-rosa, unweit davon sitzt eine verrenkte, einsame Puppe in Gold. Ihr Bein baumelt in eine Badewanne. Ihnen allen ist gemein, dass sie ihre Geschlechtsteile an Goldketten befestigt wie Accessoires tragen. Es erscheint ungewöhnlich, dass jene für uns so bezeichnenden Körperteile auf einmal ausgelagert werden. Jene Körperteile, die absurderweise über unseren Wohlstand, Ansehen, Einkommen und soziale Hierarchie entscheiden, hängen nutzlos wie Zierde an den gänzlich gleichen, glatten Körpern. Identität als Deko, Geschlecht als Anhänger. Inhaltlich kreisen die Ausstellungsstücke Knebls um Konzeptionen von Geschlecht und sozialen Rollenbildern. Dies wird deutlich anhand der Konstellation einer hetero-normativen Familie im Raum – Vater, Mutter Kind. Dass es sich bei der dreiköpfigen Personengruppe um eine “traditionell” konzipierte Familie handelt, wird durch die Stöckelschuhe suggeriert, die der Betrachter stereotyp der Frauen- und Mutterrolle zuordnet. 

Die Fotografien im Raum spiegeln Knebls Interesse an Okkultismus wider, doch auch die Figuren mit ihrem Behang erinnern mich an die rituelle Verkleidung eines kettentragenden Schamanen. Beim Schamanen dient der Schmuck einem Zweck. Wie ist es bei den Ketten der Puppen?  Sind sie nur Deko? In Erinnerung bleibt mir besonders die goldene Puppe, verlassen an der Badewannenkante sitzend, trägt sie einen goldenen Penis in Form einer Gewehrpatrone. Diese goldene Penis-Patrone ruft in mir augenblicklich militärische Assoziationen hervor. Man muss sich daran erinnern, dass diese Puppen leblos sind, doch die Geschichten, die wir ihnen zuschreiben, sind es nicht. Die Figuren sind durch ihre Gegenwärtigkeit ein Angriff, eine Einladung, in eine bevölkerte und bestückte Welt einzutreten und erschüttern durch ihre gewaltsame Laszivität.

Jonathan Seiffert

Gleich nach Betreten der Galerie steht der Besucher inmitten einer Installation, deren Bestandteile zunächst den Tastsinn ansprechen und unweigerlich das Verlangen des Berührens hervorrufen: Ein großes Doppelbett, umkleidet mit grauem Samt, wird von einem grauen Flokatiteppich bedeckt. Darauf liegen Objekte, die scheinbar zu einer lebensgroßen Puppe namens Tina gehören, die sich direkt hinter dem Bett befindet. Wie die Figur im Hintergrund bestehen die Objekte aus grünem Leder und sind so aufgepolstert, dass sie in Verbindung mit ihren schematisierten Formen an aufblasbare Sexpuppen oder Kleidung aus der Fetischabteilung im Sex-Shop erinnern. Die einzelnen Teile auf dem Bett – ein halber Arm, ein Bein, zwei einzelne Brüste, eine Vulva und ein Penis – sind mit einer goldenen Kette unzertrennlich miteinander verbunden und bilden einen sorgfältig arrangierten Halbkreis. Die Kombination von Gliederkette und Leder weckt Assoziationen zu einer Chanel Tasche, doch wird hier nicht auf den Warenfetisch im Sinne von Marx angespielt. Vielmehr steht der menschliche Körper im Fokus. Geschlechter sind nicht klar voneinander zu trennen, am Anfang steht der neutrois Mensch*, der durch die eigene Vorstellungskraft und Bedürfnisse, aber auch durch Handeln gestaltet werden kann. Die einzelnen Objekte ähneln Prothesen, die mit einfachen Scharnieren am Rumpf der Figur befestigt werden können. Dabei obliegt es der Fantasie oder gar der Sehnsucht des Betrachters, welche Gestalt die Figur am Ende annimmt. Auf und an dem Körper, dessen Proportionen nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen, befindet sich ein großer, maskenhafter Kopf. Dieser erinnert an chinesische Neujahrsmasken (Lucky God Masks), die Segen bringen und Unheil abwenden sollen – ein Hinweis auf die Gefährdung queerer Menschen? Trotz einiger gesellschaftlicher Fortschritte wird ihre Akzeptanz immer wieder infrage gestellt. In diesem Zusammenhang ist es Jakob Lena Knebl ein Anliegen, auch heterosexuelle Menschen mit einzubeziehen und ihnen Gender-Themen näher zu bringen. Vielleicht kann dies mithilfe der Puppen gelingen, denn stellt man die Figur im Geiste fertig, wird klar, dass die Geschlechter einander bedingen und nicht voneinander zu trennen sind. Somit kann es keine strenge Einteilung in das rein weibliche und männliche Geschlecht geben. Überspitzt wird dies in der goldenen Figur John und der hautfarbenen Gruppe im Keller der Galerie: hier mutieren die Geschlechtsteile zu Schmuckstücken, die wie ein Bettelarmbänder als Ketten um den Hals getragen werden. Sie werden also zur reinen Zier, die zwar ein Ausdruck von Persönlichkeit sein kann, aber keinesfalls für die Selbstdefinition notwendig ist.

Die Strategie, durch haptisches Verlangen Interesse zu wecken, erinnert an die famose Ausstellung Power Play von Anna Uddenberg in der Bundeskunsthalle Bonn (2019). Auch hier wurden lebensgroße Puppen und möbelähnliche Objekte, die mit weichen Stoffen und Materialien überzogen waren, in einer installativen Umgebung inszeniert. Uddenberg setzte sich in ihrer Ausstellung ebenfalls mit der Fetisch-Thematik sowie Gender-, skulpturalen und räumlichen Fragen auseinander. Auch bei ihr fanden sich humoristische Elemente. Allerdings verblieben die großartigen Bilder zum Teil im Klischee, während Jakob Lena Knebl die Transformation gelingt: Ihre Arbeiten bleiben keine Objekte, sondern mutieren in den Köpfen der Betrachter zu subjekthaften Gebilden, die ihr Anliegen eindringlich transportieren können.

*Neutrois Menschen haben ein neutrales oder kein Geschlecht.

Courtesy of the artist and Georg Kargl Fine Arts, Foto © kunst-dokumentation.com

https://www.georgkargl.com/de/fine-arts/presse/jakob-lena-knebl-ruth-anne

Anna Höfling

Bereits durch die große Fensterscheibe macht sich eine grüne Gestalt erkennbar und lässt Passant*innen näher herantreten. Der korpulente Körper aus grünem Leder hängt etwas schlaff in der schwarz-stählernen Stütze; ihm fehlen sein rechtes Bein und der Unterarm. Weich wird das Knie, und er möchte in sich zusammensacken, zu Boden plumpsen, und bleibt doch gerade stehen wie ein Zinnsoldat. Über ihm schwebend thront ein großer, schwerer Kopf aus Keramik, übersät mit roten Pusteln. Sie ziehen Schlieren, verrinnen genau wie die schwarzen Augen und Lippen, deren glänzende Farbe bald auf die glatte Brust zu tropfen droht. Verbissen blickt das breite Gesicht geradeaus, hält den schweren Kopf unter Schweiß und Tränen tapfer auf den hängenden Schultern –  und bleibt doch emotionslos. Die Gestalt blickt vorbei an dem ausladenden Bett aus sinnlichem Samt aus einer anderen Zeit (ob Vergangenheit oder Zukunft), auf dem ihre amputierten, glatten Gliedmaßen wie Prothesen in zotteligem Fell liegen. An einer goldenen Kette hängen zwei Brüste, eine Vulva, ein Phallus – bereit, als Schmuckstück getragen zu werden. Von wem, bleibt dabei offen, denn die Gestalt verharrt stumm in ihrer Ecke.

Jakob Lena Knebl, deren Arbeiten kürzlich in der Galerie Georg Kargl zu sehen waren, nennt die Puppe Tina. Sie ist Teil einer Installation aus dem Jahre 2019. John, Joan und Edgar heißen die anderen geschlechtslosen Wesen in der Ausstellung. Mit Tina bezeichnet sich Knebl selbst, die durch Film, Fotomontage oder Bodypainting gerne selbst Teil ihrer körperlichen Kunst wird. Ruth Anne fungiert als ihr esoterisches Alter Ego. Wie Pipilotti Rist bedient Knebl sich des Designs, um den Ausstellungsraum zu transformieren, einen emotionalen Erlebnisraum zu schaffen, und so einen niederschwelligen Zugang zu ermöglichen, der im institutionellen Kontext natürlich nur begrenzt realisiert werden kann. Wenn beispielsweise ein blauer Teppichstreifen überquert werden muss, damit wir uns den queeren Kunstwerken „am anderen Ufer“ annähern können, und um den Ausstellungsrundgang fortzusetzen, entsteht Irritation oder Unsicherheit. Offenbar handelt es sich um den Teil eines Werkes und nicht einfach um Bodenbelag. An solchen Stellen der Ausstellung verschwimmen die Grenzen zwischen Kunst und Kuration. Mit dem Respekt einer Kunstgeschichtsstudentin stand ich lange davor, bis ich wagte, diesen Teppich mit Füßen zu (be-)treten und musste dabei über mich selbst den Kopf schütteln.

Auch mit diversen Materialien spielt Knebl hier gerne: Das Bett neben Tina kreiert mit seinem Kontrast aus harten, glänzend-spiegelnden sowie weichen, samtig-haarigen Oberflächen eine sinnliche Atmosphäre. Ohne dass ich es wage, das zu Kunst gewordene Objekt tatsächlich zu berühren, kann ich die Strukturen nahezu auf der Haut fühlen; aus dem eingebauten, verstummen Radio - so stelle ich mir vor -  erklingt leise Careless Whisper von George Michael. Durch die Materialien und die offensichtliche Thematik wirkt die Szene dieses Monodramas, in dem das grüne Wesen zur  Hauptakteurin eines Science-Fiction Films der 70er Jahre wird, sehr überspitzt. Leder macht aus der Figur ein Fetischobjekt, die Goldkette verwandelt primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale in Modeaccessoires. Im Gegensatz zu aufblasbaren Gummipuppen zeigt sich Tina füllig, schwer und körperlich. Könnte sie mit ihrer plumpen Hand nach den auf dem Bett liegenden Genitalien greifen, so blieben sie an ihrem Körper wohl genauso nutzlos wie die Extremitäten, die - lediglich mit Druckknopf befestigt - keinesfalls zu irgendeiner Funktion befähigt sind.

Knebl als queere Person spielt mit der Diskrepanz von sex und gender, bricht mit Heteronormativität und dekonstruiert den Körper, der klar vom Kopf abgetrennt ist, und schafft ein zugängliches und doch spannendes, facettenreiches und politisches Werk. Dies tut sie unter Rückgriff auf organische und synthetische Materialien, die eine atmosphärische Szenerie kreieren. Materialien, die in ihrer Produktion und Verarbeitung traditionell als weiblich angesehen werden. Diese kontrastiert  sie mit „männlichen”. Besonders Leder spielt hier eine zentrale Rolle und erinnert an Fetischobjekte oder -kostüme. Als zum Produkt gewordenes Organ haucht Leder Tina, der geschlechtslosen Puppe mit dem weiblichen Namen, Leben ein, indem es sie als wiedererstandene Haut überzieht.

Chantal Schlacher

Ende Mai schloss in der Galerie Georg Kargl Fine Arts die Ausstellung Ruth Anne von Jakob Lena Knebl. Dennoch gibt es viele Gründe über die dort ausgestellten Objekte nachzudenken  - zum einen weil Knebl wichtige sozialpolitische Themen anspricht, zum anderen weil die Künstlerin uns noch häufig in Ausstellungsräumen begegnen wird. Schließlich wird Knebl unter anderem den österreichischen Pavillon auf der Biennale in Venedig 2022 bespielen, die wegen der Coronakrise um ein Jahr verschoben wurde. 

Trotz Online-Tour durch die Räumlichkeiten auf der Galerie-Website, lohnt sich die Raumerfahrung. Denn nicht nur unser Körper reagiert auf Knebls Arbeiten, sondern die menschgewordenen Puppen sprechen unseren Körper direkt an, schüchtern den Besucher ein, oder betören durch ihre körperliche Gegenwart. Über zwei Stockwerke sammeln sich die straffen Wesen aus Leder, deren Körperlichkeit nicht nur von der Anlehnung an die menschliche Plastizität leben, sondern ebenso von deren Ausfüllung mit organischem Material. Schaufensterpuppen und aufblasbare Plastikpuppen stehen in einem ganz anderen Verhältnis zu unseren Körpern als diese Wesen, sie sind leer, ohne Füllung und daher tot. Sie sind ungesund und perfekt. Knebls Körper hingegen sind Einzelteile. Sie zeichnen sich durch ihre Unvollständigkeit und Unvollkommenheit aus. Oft sind die Puppenkörper von ihren Porzellan-Köpfen getrennt. Die Künstlerin sucht „Alternativen zu normativen und kommerzialisierten Begehren. Objekte sind auch Körper im Raum, Fetisch ist ein sehr interessanter Motor in unserer Beziehung zu Körpern, Materialien und Dingen“. Die Fetischisierung dieser Körper beginnt direkt beim Betreten des Ausstellungsraumes, der durch die verglaste Auslage auch von der Straße einsehbar ist. Man sieht in ein Schlafzimmer, einen intimen Raum, hier zu einer Auslage und Einladung umgestaltet. Auf dem Bett liegen zerstückelt, einzeln und getrennt Körperteile, die durch eine goldene Kette zusammengehalten werden. Aufgelöst in ihre Einzelteile, aber durch ihre Assoziation zum Menschenkörper ihre Lebendigkeit erhaltend, ziehen die Gliedmaßen unseren  Blick an. Knebl holt uns durch ihre inszenierte Körperlichkeit in eine Welt von Begehren und evoziert dabei Scham, wenn man durch diese ungewohnt nackte Welt wandelt. Ihre Arbeiten wirken wie Momente aus einem fatalen Spiel, einem geheimen Ritus, einer Sexualpraktik.

Die Figuren erscheinen in verschiedenen Konstellationen und Umgebungen. Im unteren Stockwerk befindet sich eine vergnügte Familienkomposition in quietsch-rosa, unweit davon sitzt eine verrenkte, einsame Puppe in Gold. Ihr Bein baumelt in eine Badewanne. Ihnen allen ist gemein, dass sie ihre Geschlechtsteile an Goldketten befestigt wie Accessoires tragen. Es erscheint ungewöhnlich, dass jene für uns so bezeichnenden Körperteile auf einmal ausgelagert werden. Jene Körperteile, die absurderweise über unseren Wohlstand, Ansehen, Einkommen und soziale Hierarchie entscheiden, hängen nutzlos wie Zierde an den gänzlich gleichen, glatten Körpern. Identität als Deko, Geschlecht als Anhänger. Inhaltlich kreisen die Ausstellungsstücke Knebls um Konzeptionen von Geschlecht und sozialen Rollenbildern. Dies wird deutlich anhand der Konstellation einer hetero-normativen Familie im Raum – Vater, Mutter Kind. Dass es sich bei der dreiköpfigen Personengruppe um eine “traditionell” konzipierte Familie handelt, wird durch die Stöckelschuhe suggeriert, die der Betrachter stereotyp der Frauen- und Mutterrolle zuordnet. 

Die Fotografien im Raum spiegeln Knebls Interesse an Okkultismus wider, doch auch die Figuren mit ihrem Behang erinnern mich an die rituelle Verkleidung eines kettentragenden Schamanen. Beim Schamanen dient der Schmuck einem Zweck. Wie ist es bei den Ketten der Puppen?  Sind sie nur Deko? In Erinnerung bleibt mir besonders die goldene Puppe, verlassen an der Badewannenkante sitzend, trägt sie einen goldenen Penis in Form einer Gewehrpatrone. Diese goldene Penis-Patrone ruft in mir augenblicklich militärische Assoziationen hervor. Man muss sich daran erinnern, dass diese Puppen leblos sind, doch die Geschichten, die wir ihnen zuschreiben, sind es nicht. Die Figuren sind durch ihre Gegenwärtigkeit ein Angriff, eine Einladung, in eine bevölkerte und bestückte Welt einzutreten und erschüttern durch ihre gewaltsame Laszivität.

Jonathan Seiffert

Gleich nach Betreten der Galerie steht der Besucher inmitten einer Installation, deren Bestandteile zunächst den Tastsinn ansprechen und unweigerlich das Verlangen des Berührens hervorrufen: Ein großes Doppelbett, umkleidet mit grauem Samt, wird von einem grauen Flokatiteppich bedeckt. Darauf liegen Objekte, die scheinbar zu einer lebensgroßen Puppe namens Tina gehören, die sich direkt hinter dem Bett befindet. Wie die Figur im Hintergrund bestehen die Objekte aus grünem Leder und sind so aufgepolstert, dass sie in Verbindung mit ihren schematisierten Formen an aufblasbare Sexpuppen oder Kleidung aus der Fetischabteilung im Sex-Shop erinnern. Die einzelnen Teile auf dem Bett – ein halber Arm, ein Bein, zwei einzelne Brüste, eine Vulva und ein Penis – sind mit einer goldenen Kette unzertrennlich miteinander verbunden und bilden einen sorgfältig arrangierten Halbkreis. Die Kombination von Gliederkette und Leder weckt Assoziationen zu einer Chanel Tasche, doch wird hier nicht auf den Warenfetisch im Sinne von Marx angespielt. Vielmehr steht der menschliche Körper im Fokus. Geschlechter sind nicht klar voneinander zu trennen, am Anfang steht der neutrois Mensch*, der durch die eigene Vorstellungskraft und Bedürfnisse, aber auch durch Handeln gestaltet werden kann. Die einzelnen Objekte ähneln Prothesen, die mit einfachen Scharnieren am Rumpf der Figur befestigt werden können. Dabei obliegt es der Fantasie oder gar der Sehnsucht des Betrachters, welche Gestalt die Figur am Ende annimmt. Auf und an dem Körper, dessen Proportionen nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen, befindet sich ein großer, maskenhafter Kopf. Dieser erinnert an chinesische Neujahrsmasken (Lucky God Masks), die Segen bringen und Unheil abwenden sollen – ein Hinweis auf die Gefährdung queerer Menschen? Trotz einiger gesellschaftlicher Fortschritte wird ihre Akzeptanz immer wieder infrage gestellt. In diesem Zusammenhang ist es Jakob Lena Knebl ein Anliegen, auch heterosexuelle Menschen mit einzubeziehen und ihnen Gender-Themen näher zu bringen. Vielleicht kann dies mithilfe der Puppen gelingen, denn stellt man die Figur im Geiste fertig, wird klar, dass die Geschlechter einander bedingen und nicht voneinander zu trennen sind. Somit kann es keine strenge Einteilung in das rein weibliche und männliche Geschlecht geben. Überspitzt wird dies in der goldenen Figur John und der hautfarbenen Gruppe im Keller der Galerie: hier mutieren die Geschlechtsteile zu Schmuckstücken, die wie ein Bettelarmbänder als Ketten um den Hals getragen werden. Sie werden also zur reinen Zier, die zwar ein Ausdruck von Persönlichkeit sein kann, aber keinesfalls für die Selbstdefinition notwendig ist.

Die Strategie, durch haptisches Verlangen Interesse zu wecken, erinnert an die famose Ausstellung Power Play von Anna Uddenberg in der Bundeskunsthalle Bonn (2019). Auch hier wurden lebensgroße Puppen und möbelähnliche Objekte, die mit weichen Stoffen und Materialien überzogen waren, in einer installativen Umgebung inszeniert. Uddenberg setzte sich in ihrer Ausstellung ebenfalls mit der Fetisch-Thematik sowie Gender-, skulpturalen und räumlichen Fragen auseinander. Auch bei ihr fanden sich humoristische Elemente. Allerdings verblieben die großartigen Bilder zum Teil im Klischee, während Jakob Lena Knebl die Transformation gelingt: Ihre Arbeiten bleiben keine Objekte, sondern mutieren in den Köpfen der Betrachter zu subjekthaften Gebilden, die ihr Anliegen eindringlich transportieren können.

*Neutrois Menschen haben ein neutrales oder kein Geschlecht.

Courtesy of the artist and Georg Kargl Fine Arts, Foto © kunst-dokumentation.com

https://www.georgkargl.com/de/fine-arts/presse/jakob-lena-knebl-ruth-anne

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