Jonathan Seiffert

Michelle Seidl

Katharina Hoffmann

James T. Hong: Apologies v 2016.2

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Ausstellung: James T. Hong, Apologies v. 2016.2, 2021, Jüdisches Museum Wien vom 13.10.22-12.2.23

Bild 1: Ausstellungsansicht James T. Hong: Apologies v. 2016.2, Jüdisches Museum Wien, Foto Credits: David Bohmann

Bild 2: Ausschnitte aus James T. Hong: Apologies v. 2016.2, Jüdisches Museum Wien, Foto Credits: The artist and Empty Gallery, Hong Kong

Bild 3: Ausstellungstext "Nie Wieder" von der Ausstellung James T. Hong: Apologies v. 2016.2, Jüdisches Museum Wien, Foto Credits: David Bohmann

Jonathan Seiffert

Gleich nach Betreten des Ausstellungsraums werden die Betrachter*innen mit einer großformatigen Wandprojektion konfrontiert, auf der die Videoarbeit Apologies von James T. Hong zu sehen ist. Während sich die Zuschauer*innen auf staatsbankettähnlichen Stühlen, die passenderweise auf einem roten Teppich platziert sind, niederlassen, zeigt die Arbeit zahlreiche kurze Videoclips von bekannten Politiker*innen und kirchlichen Würdenträgern, die sich für allerhand Vergehen entschuldigen müssen. Diese sind zum Teil in ihrer Amtszeit vorgefallen, liegen meistens jedoch Jahrzehnte oder Jahrhunderte zurück. Darunter fallen die größtmöglichen Verbrechen, angefangen bei der Kolonialisierung und der Vertreibung sowie Ermordung indigener Völker bis hin zu Kriege und Genozide, Kindesmissbrauch und institutioneller Rassismus. Die einzelnen Aussagen werden von Hong nicht weiter kommentiert. Sie sollen für sich sprechen. Und doch hat man das Gefühl, dass die Politiker*innen nicht selbst sprechen. Die Entschuldigungen, mal in wenigen Worten vorgetragen, mal mit langen Ausführungen und Versuchen einer Rechtfertigung formuliert, wirken oft routiniert und emotionslos. Nur in wenigen Ausnahmefällen, etwa wie beim Besuch des chinesischen Präsidenten bei hungerstreikenden Studierenden oder dem Kniefall Willy Brandts in Warschau, lässt sich ernsthafte Anteilnahme und Reue erkennen.

Das Video lässt die Frage aufkommen, warum so viel Zeit zwischen Taten und Entschuldigungen vergeht. Dies könnte sich einerseits auf Reputationsgründe und möglicherweise auch auf die Angst vor sich ergebenden Reparationen zurückführen lassen. Andererseits muss der Zeitpunkt sorgsam gewählt sein. Die Entschuldigung sollte aufrichtig sein und von der Bevölkerung getragen werden. Dass sie, obwohl sie notwendig ist, auch polarisieren kann, zeigt sich beim letztgenannten Beispiel des Kniefalls von Willy Brandt.

Während seines Besuches zum Unterzeichnen des Warschauer Vertrags legte der damalige deutsche Bundeskanzler einen Kranz am Denkmal für die Helden des Warschauer Ghettos nieder. Dabei sank er zu Boden und verharrte einige Sekunden in kniender Haltung. Diese Geste wurde als Entschuldigung, als Akt der Reue vor den Taten der Deutschen während des Zweiten Weltkrieges gesehen. In den öffentlichen Medien wurde diese Aktion zwar durchgehend positiv bewertet, allerdings haben Umfragen innerhalb der Bevölkerung ergeben, dass sie zumindest teilweise der Geste ablehnend gegenüberstanden.1 Während die unter 30-Jährigen und die über 60-Jährigen die Aktion für angemessen hielten, empfand die Altersschicht dazwischen die Geste als unnötig. Betrachtet man das Alter der erstgenannten Gruppe zu Kriegsende (maximal 5 Jahre bzw. mindestens 35 Jahre alt), lässt sich die Vermutung anstellen, dass die Generation dazwischen viel stärker von den Nationalsozialisten indoktriniert wurde und daher trotz des zeitlichen Abstands und Aufarbeitung ein anderes Schuldempfinden hat. Dies lässt sich mit Sicherheit auch auf andere Nationen und unterschiedliche Bevölkerungsschichten übertragen. Ob das jedoch eine zögerliche oder viel zu späte Entschuldigung rechtfertigt, bleibt fraglich.

Aber wieder zurück zu Hongs Video. Auffällig ist die Herkunft der Protagonist*innen. Diese sind ganz überwiegend asiatisch oder stammen aus den westlichen Ländern, vornehmlich Europa und Amerika. Entschuldigungen von Regierenden aus dem Nahen Osten oder Afrika kommen nicht vor, obgleich sich auch in diesen Ländern fortwährend Vorkommnisse ereignen, die entschuldigungswürdig sind. Zudem sind die meisten Regierenden männlich. Damit dokumentiert Hong ganz nebenbei, dass Frauen in den letzten Jahrzehnten nur vereinzelt auf höchster Regierungsebene tätig sein durften.

Die Stärke von Hongs Arbeit liegt in der schlichten Aneinanderreihung beinahe endlos erscheinender Clips. Sie zeigen, dass die Verbrechen in der Weltgeschichte fortlaufend weiter geschehen und die Menschheit trotz des damit verbundenen Leids nichts aus ihren Fehlern lernt. Auch wenn das Video nach anderthalb Stunden endet, beschleicht einen das Gefühl, dass es ewig weitergeführt werden könnte - und vermutlich auch wird. Eine Art Perpetuum mobile, auf das man gerne verzichten möchte.

1 https://www.spiegel.de/politik/kniefall-angemessen-oder-uebertrieben-a-861df9eb-0002-0001-0000-000043822427?context=issue

Michelle Seidl

Als der ehemalige deutsche Bundeskanzler Willy Brandt im Dezember 1970 in Warschau war, um dort einen Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen zu unterzeichnen, fiel er, begleitet von der Presse und Mitgliedern der deutsch-polnischen Delegation, vor dem steinernen Denkmal des Warschauer Ghettoaufstandes unerwartet auf die Knie, wo er mit gesenktem Kopf in Stille verharrte. Eine Aufzeichnung dieses sogenannten Kniefalls von Warschau eröffnet den eineinhalb Stunden langen Film Apologies v. 2016.2, 2021 des taiwanesisch-amerikanischen Künstlers James T. Hong, der zur Zeit im Jüdischen Museum Wien zu sehen ist. Als chronologisch gegliederte Kompilation aus Film- und Videoaufzeichnungen zeigt Hongs Arbeit internationale Politiker und Staatsmänner, die sich für staatlich angeordnete bzw. sanktionierte Verbrechen öffentlich und medienwirksam vor laufender Kamera entschuldigen. Die Konfrontation mit über 50 Entschuldigungen prominenter Machtinhaber erzeugt einen abstumpfenden Effekt: Die chronologische Gliederung macht deutlich, dass öffentliche Entschuldigungen keine Seltenheit mehr sind, sondern immer häufiger stattfinden. Die mediatisierten Bedingungen öffentlicher Entschuldigungen, die dabei aus der Sphäre des Privaten extrahiert und an die Öffentlichkeit gerichtet werden, verändern auch deren Bedeutung und Logik.

Die Machtinhaber, die sprachliche Strategien anwenden um ihre individuelle Verantwortung für die begangenen Taten zu reduzieren, eröffnen durch mehrdeutige Aussagen Interpretationsspielräume: Das sprachliche Verschleiern der Straftaten in den von Hong kompilierten Entschuldigungen aus der jüngsten Vergangenheit lässt sich als Fortsetzung der Tendenz, euphemistische Umschreibungen für Gräueltaten zu verwenden, lesen. Diese Sprachakrobatik verwandelt eine Entschuldigung häufig in eine performative Nicht-Entschuldigung, bei der das Mea culpa zwar symbolisch an die Opfer gerichtet wird, im Endeffekt aber vor allem der eigenen Nation und deren kollektivem Bewusstsein entgegenkommt. Der sprachliche Akt — sich bei einem Opfer zu entschuldigen — wird zu einem informativen Akt: Nicht die Entschuldigung per se, sondern die Absicht des Sprechers rückt in den Vordergrund. Die eigene moralisch angemessene Position wird medial dokumentiert und durch die präsenten Kameras auch audiovisuell festgehalten. Die Einbeziehung der Medien macht den Staatsrepräsentanten zu einem Performer, dem es ein Anliegen ist, nicht nur sein eigenes Image, sondern auch das (inter)nationale Ansehen des Staates wiederherzustellen. So wird der Akt öffentlichen Entschuldigens zu einem performativen Ritual, das ein Publikum verlangt und konsumiert werden möchte.

Der Film zeichnet durch die theoretisch beliebig fortsetzbare Aneinanderreihung von Worten ein pessimistisches Bild: Haben diese Entschuldigungen, die als ritualisierte Performances bloßgestellt werden, überhaupt einen ethischen Gehalt, oder handelt es sich nur um inhaltsleere Floskeln? Hongs formulierte Kritik ist berechtigt und lässt die Frage aufkommen, ob diese Darbietungen eine sinnvolle Form der Wiedergutmachung für die Opfer darstellen. Und so manches Unrecht lässt Wiedergutmachung und Vergebung tatsächlich unmöglich erscheinen, vor allem auf politischer Ebene. Zudem enthalten offizielle Entschuldigungen, auch aufgrund ihrer Einmaligkeit, immer auch den leisen Wunsch, die eigene Vergangenheit hinter sich zu lassen. Die Täter erhoffen sich einen Neuanfang, der ihnen allerdings nicht durch die Vergebung der Opfer, sondern vielmehr durch die vorgeblich selbstreflexive Auseinandersetzung mit den eigenen Taten gewährt wird. Hinter dem moralischen Vorbehalt einer Entschuldigung steht somit allzu oft die Sehnsucht nach Entlastung von den eigenen begangenen Verbrechen. So stellt der Film durch die Anhäufung der potentiell endlos weiterlaufenden Entschuldigungen auch das oft proklamierte „Nie wieder“ und das damit heraufbeschworene Versprechen — die Bereitschaft, die Notwendigkeit solcher Entschuldigungen zu verhindern — als seiner eigentlichen Bedeutung entleert bloß. Zwar werden “Nie wieder” Deutsche Juden im Holocaust ermorden, doch staatliche Verbrechen und Gräueltaten, die sich jeglichen universell zu beanspruchenden Menschenrechten widersetzen, haben kein Ende gefunden. Diese Tatsache gibt Hongs Film formal wieder, denn man wird dessen Logik auch dann nachvollziehen können, wenn man nur einen Bruchteil der eineinhalb Stunden gesehen hat. Die im Film chronologisch geordneten Aufzeichnungen enden im Jahr 2016, doch man weiß, dass die Entschuldigungen, und damit die Taten, kein Ende nehmen.

Die Effekte dieser öffentlichen Entschuldigungen, die Hong aneinanderreiht, manifestieren sich nach wie vor in der täuschenden Negativreferenz eines „Nie wieder“, das nicht über das Anbringen von Gedenktafeln und misslungene Rekontextualisierungen von problematischen Denkmälern hinausgeht. Zwar ebnen öffentlichkeitswirksame Entschuldigungen und das Eingeständnis der eigenen Verbrechen den Weg für eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und die Möglichkeit eines Diskurses, aber Hongs Apologies zeigt, dass es damit noch lange nicht getan ist.

Katharina Hoffmann

So they only talk the talk?

Der Akt des sich Entschuldigens bezweckt die Absicht der Schuldbekenntnis und die Bitte um das Verständnis oder die Nachsicht des Verhaltens. Das birgt das Verzeihen des Gegenübers mit sich, das allein durch diese Bitte die Tat neutralisieren soll und damit in die Vergangenheit versetzt wird. Jedoch stellt sich die Frage der Grenzen eines Vergehens, welches noch im Rahmen einer Entschuldigung tatsächlich verziehen werden kann. Die Bitte um Nachsicht und Verständnis gegenüber Gräueltaten wie Vergewaltigungen, Tötungsdelikten und Genoziden scheint damit von der Entschuldigung ausgeschlossen zu sein.

 

James T. Hong reiht politische Entschuldigungsreden auf und kristallisiert durch die kurzen Clips den in der Politik zum Ritual gewordenen Akt der Reue. Der daraus resultierende Film von 1,5 Stunden springt von einer Entschuldigung zur Nächsten, wodurch der Inhalt nach jedem weiteren Oberhaupt entkräftet wird. Man hört zum Schluss nur noch leere Versprechen. Der Glaube an die Veränderung, die Wiedergutmachung und die tatsächliche Reue wird in den Boden gestampft. Das Wort „apology“ wird entmachtet und das Gesagte wirkt nur noch wie eine Abfolge von Tönen. 

 

Die serielle Wiederholung der Aussage, die Bilder der Oberhäupter vor einem Mikrofon und die scheinbar emotionslose Wiedergabe der Entschuldigung führt zu der Frage, ob Worte überhaupt Macht in sich tragen können. Ist die Wiedergabe des Inhalts so entmachtet, dass nur mehr Taten den Inhalt deuten können? Was passiert eigentlich mit dem Glauben, der durch Inhalte kleine Hoffnungsschimmer heraufbeschwört, während die Umsetzung der Entschuldigung langsam ins Rollen gerät? Braucht es überhaupt noch Entschuldigungen? Die Kritik an der routiniert konzipierten Entschuldigungsrede findet durch Hongs Apologies v 2016.2, 2021 einen geeigneten Träger. Die Oberhäupter erscheinen lächerlich, als gehöre Reue zum täglichen Brot und die offizielle Entschuldigung wie ein weiterer Punkt auf der To-Do Liste.

 

Offen bleibt, wie Entschuldigungen tatsächlich die Opfer erreichen und was genau an diesen Reden verändert werden soll. Denn der erste Akt der Entschuldigung ist die Bitte der Wiedergutmachung. Die Kritik Hongs erscheint mir legitim, dennoch nicht konstruktiv. Durch die aneinander gereihten Clips wird der Gedanke evoziert, dass die offizielle Entschuldigung an die Opfer nicht wichtig erscheint. Vielleicht sollten die Reden nicht an die Opfer gerichtet sein und diese um Nachsicht bitten, sondern als Mahnreden an das Volk, den Schuldigen und als Agenda des Oberhaupts von Institutionen, dass solche Taten für immer in die Geschichte eingebrannt werden. Die Erinnerung an das Grauen der Taten und die serielle Mahnung sollten im Fokus stehen, anstatt der bloßen Akzeptanz einer einmaligen offiziellen Entschuldigung.

 

Hongs Video kritisiert diese Darstellung der Wirklichkeit. Jede symbolische Entschuldigung wirkt wie ein Massenprodukt, das durch die schnelle Konsumation obsolet erscheint. Brauchen wir überhaupt Entschuldigungen? Das Video vermittelt eine perspektivlose Zukunft, wo jeder Versuch einer Entschuldigung erfolglos erscheint. Jedoch ist der  Akt des Entschuldigens trotz des dargestellten Überflusses ein wichtiger Schritt für die Auseinandersetzung in der Menschheitsgeschichte, da diese zur Analyse von menschlichem Verhalten führt. Damit werden Eventualitäten von schrecklichem Handeln aufgezeigt, die sowohl  das Denken der Täter*innen als auch das unfassbar große Spektrum von traumatischen Taten umfassen.

 

Die gehäuften Reden wirken zusammengeschnitten zwar wie eine routinierte Performance, jedoch fungieren sie als Sichtbarmachen von menschlichen Verbrechen und gleichzeitig auch als Aufklärung von großer Ungerechtigkeit. Die breite Masse hat zumeist nicht die Ressourcen, sich mit den Missständen von Minderheitsgruppen auseinanderzusetzen. Die Problematik der Tat führt zu dem fehlenden Diskurs, der von großen Worten wie „Entschuldigung“ zumindest von der ersten Kenntnisnahme der Tat zeugt. Die Aufarbeitung, das Wiedergutmachen und die wiederholte Reue an Gedenktagen führen Schrittweise zu einem Handeln. Das „Nie wieder“ braucht die Konsequenz der Erinnerung, der ständigen Reue und der wiederholten Bitte um Vergebung. Die Umsetzung von „Nie -Wieder“ ist eine Handlungsform, die zwar nie vollkommen erfüllt werden kann, jedoch als Leitmotiv für die Handlungsräume von Institutionen fungiert. Eine Entschuldigung sensibilisiert Institutionen für Taten, die infolgedessen bestraft werden.

 

Sind die Inhalte der Reue nicht mehr relevant? Sollte man ihnen nicht zuhören? Die Kritik an der Entschuldigung lässt zudem die Arbeit von vielen aufklärerischen Organisationen in den Hintergrund rücken, die für die Anerkennung der Gräueltaten kämpfen. Zudem repräsentiert die Entschuldigung nicht nur die eines Oberhauptes, sondern gar ganzer Institutionen, Gesellschaften und Ländern gegenüber den Opfern.

 

Auch die Länge von 1,5 Stunden ist erstaunlich und lässt mich fragen, wie viele Entschuldigungen noch nicht ausgesprochen wurden. Denn jede Entschuldigung ist trotz allem das Resultat der Erkenntnis einer Tat und die Erweiterung des Katalogs von menschlichem Fehlverhalten, die zukünftige Bestrafung mit sich zieht. Auch wenn Hong durch das serielle Aneinanderreihen die Lächerlichkeit des gestellten Rituals von offiziellen Institutionen sichtbar macht, suggeriert er dadurch ein Weglassen solcher offiziellen Entschuldigungen. Zudem lässt er die Hoffnung auf Veränderung außer Acht, die selbst bei einer erzwungenen Entschuldigung aufkommt. Und hier spricht der Optimismus aus mir, denn was wären wir ohne ein bisschen Hoffnung nach einer halb ernst gemeinten Entschuldigung?

Jonathan Seiffert

Gleich nach Betreten des Ausstellungsraums werden die Betrachter*innen mit einer großformatigen Wandprojektion konfrontiert, auf der die Videoarbeit Apologies von James T. Hong zu sehen ist. Während sich die Zuschauer*innen auf staatsbankettähnlichen Stühlen, die passenderweise auf einem roten Teppich platziert sind, niederlassen, zeigt die Arbeit zahlreiche kurze Videoclips von bekannten Politiker*innen und kirchlichen Würdenträgern, die sich für allerhand Vergehen entschuldigen müssen. Diese sind zum Teil in ihrer Amtszeit vorgefallen, liegen meistens jedoch Jahrzehnte oder Jahrhunderte zurück. Darunter fallen die größtmöglichen Verbrechen, angefangen bei der Kolonialisierung und der Vertreibung sowie Ermordung indigener Völker bis hin zu Kriege und Genozide, Kindesmissbrauch und institutioneller Rassismus. Die einzelnen Aussagen werden von Hong nicht weiter kommentiert. Sie sollen für sich sprechen. Und doch hat man das Gefühl, dass die Politiker*innen nicht selbst sprechen. Die Entschuldigungen, mal in wenigen Worten vorgetragen, mal mit langen Ausführungen und Versuchen einer Rechtfertigung formuliert, wirken oft routiniert und emotionslos. Nur in wenigen Ausnahmefällen, etwa wie beim Besuch des chinesischen Präsidenten bei hungerstreikenden Studierenden oder dem Kniefall Willy Brandts in Warschau, lässt sich ernsthafte Anteilnahme und Reue erkennen.

Das Video lässt die Frage aufkommen, warum so viel Zeit zwischen Taten und Entschuldigungen vergeht. Dies könnte sich einerseits auf Reputationsgründe und möglicherweise auch auf die Angst vor sich ergebenden Reparationen zurückführen lassen. Andererseits muss der Zeitpunkt sorgsam gewählt sein. Die Entschuldigung sollte aufrichtig sein und von der Bevölkerung getragen werden. Dass sie, obwohl sie notwendig ist, auch polarisieren kann, zeigt sich beim letztgenannten Beispiel des Kniefalls von Willy Brandt.

Während seines Besuches zum Unterzeichnen des Warschauer Vertrags legte der damalige deutsche Bundeskanzler einen Kranz am Denkmal für die Helden des Warschauer Ghettos nieder. Dabei sank er zu Boden und verharrte einige Sekunden in kniender Haltung. Diese Geste wurde als Entschuldigung, als Akt der Reue vor den Taten der Deutschen während des Zweiten Weltkrieges gesehen. In den öffentlichen Medien wurde diese Aktion zwar durchgehend positiv bewertet, allerdings haben Umfragen innerhalb der Bevölkerung ergeben, dass sie zumindest teilweise der Geste ablehnend gegenüberstanden.1 Während die unter 30-Jährigen und die über 60-Jährigen die Aktion für angemessen hielten, empfand die Altersschicht dazwischen die Geste als unnötig. Betrachtet man das Alter der erstgenannten Gruppe zu Kriegsende (maximal 5 Jahre bzw. mindestens 35 Jahre alt), lässt sich die Vermutung anstellen, dass die Generation dazwischen viel stärker von den Nationalsozialisten indoktriniert wurde und daher trotz des zeitlichen Abstands und Aufarbeitung ein anderes Schuldempfinden hat. Dies lässt sich mit Sicherheit auch auf andere Nationen und unterschiedliche Bevölkerungsschichten übertragen. Ob das jedoch eine zögerliche oder viel zu späte Entschuldigung rechtfertigt, bleibt fraglich.

Aber wieder zurück zu Hongs Video. Auffällig ist die Herkunft der Protagonist*innen. Diese sind ganz überwiegend asiatisch oder stammen aus den westlichen Ländern, vornehmlich Europa und Amerika. Entschuldigungen von Regierenden aus dem Nahen Osten oder Afrika kommen nicht vor, obgleich sich auch in diesen Ländern fortwährend Vorkommnisse ereignen, die entschuldigungswürdig sind. Zudem sind die meisten Regierenden männlich. Damit dokumentiert Hong ganz nebenbei, dass Frauen in den letzten Jahrzehnten nur vereinzelt auf höchster Regierungsebene tätig sein durften.

Die Stärke von Hongs Arbeit liegt in der schlichten Aneinanderreihung beinahe endlos erscheinender Clips. Sie zeigen, dass die Verbrechen in der Weltgeschichte fortlaufend weiter geschehen und die Menschheit trotz des damit verbundenen Leids nichts aus ihren Fehlern lernt. Auch wenn das Video nach anderthalb Stunden endet, beschleicht einen das Gefühl, dass es ewig weitergeführt werden könnte - und vermutlich auch wird. Eine Art Perpetuum mobile, auf das man gerne verzichten möchte.

1 https://www.spiegel.de/politik/kniefall-angemessen-oder-uebertrieben-a-861df9eb-0002-0001-0000-000043822427?context=issue

Michelle Seidl

Als der ehemalige deutsche Bundeskanzler Willy Brandt im Dezember 1970 in Warschau war, um dort einen Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen zu unterzeichnen, fiel er, begleitet von der Presse und Mitgliedern der deutsch-polnischen Delegation, vor dem steinernen Denkmal des Warschauer Ghettoaufstandes unerwartet auf die Knie, wo er mit gesenktem Kopf in Stille verharrte. Eine Aufzeichnung dieses sogenannten Kniefalls von Warschau eröffnet den eineinhalb Stunden langen Film Apologies v. 2016.2, 2021 des taiwanesisch-amerikanischen Künstlers James T. Hong, der zur Zeit im Jüdischen Museum Wien zu sehen ist. Als chronologisch gegliederte Kompilation aus Film- und Videoaufzeichnungen zeigt Hongs Arbeit internationale Politiker und Staatsmänner, die sich für staatlich angeordnete bzw. sanktionierte Verbrechen öffentlich und medienwirksam vor laufender Kamera entschuldigen. Die Konfrontation mit über 50 Entschuldigungen prominenter Machtinhaber erzeugt einen abstumpfenden Effekt: Die chronologische Gliederung macht deutlich, dass öffentliche Entschuldigungen keine Seltenheit mehr sind, sondern immer häufiger stattfinden. Die mediatisierten Bedingungen öffentlicher Entschuldigungen, die dabei aus der Sphäre des Privaten extrahiert und an die Öffentlichkeit gerichtet werden, verändern auch deren Bedeutung und Logik.

Die Machtinhaber, die sprachliche Strategien anwenden um ihre individuelle Verantwortung für die begangenen Taten zu reduzieren, eröffnen durch mehrdeutige Aussagen Interpretationsspielräume: Das sprachliche Verschleiern der Straftaten in den von Hong kompilierten Entschuldigungen aus der jüngsten Vergangenheit lässt sich als Fortsetzung der Tendenz, euphemistische Umschreibungen für Gräueltaten zu verwenden, lesen. Diese Sprachakrobatik verwandelt eine Entschuldigung häufig in eine performative Nicht-Entschuldigung, bei der das Mea culpa zwar symbolisch an die Opfer gerichtet wird, im Endeffekt aber vor allem der eigenen Nation und deren kollektivem Bewusstsein entgegenkommt. Der sprachliche Akt — sich bei einem Opfer zu entschuldigen — wird zu einem informativen Akt: Nicht die Entschuldigung per se, sondern die Absicht des Sprechers rückt in den Vordergrund. Die eigene moralisch angemessene Position wird medial dokumentiert und durch die präsenten Kameras auch audiovisuell festgehalten. Die Einbeziehung der Medien macht den Staatsrepräsentanten zu einem Performer, dem es ein Anliegen ist, nicht nur sein eigenes Image, sondern auch das (inter)nationale Ansehen des Staates wiederherzustellen. So wird der Akt öffentlichen Entschuldigens zu einem performativen Ritual, das ein Publikum verlangt und konsumiert werden möchte.

Der Film zeichnet durch die theoretisch beliebig fortsetzbare Aneinanderreihung von Worten ein pessimistisches Bild: Haben diese Entschuldigungen, die als ritualisierte Performances bloßgestellt werden, überhaupt einen ethischen Gehalt, oder handelt es sich nur um inhaltsleere Floskeln? Hongs formulierte Kritik ist berechtigt und lässt die Frage aufkommen, ob diese Darbietungen eine sinnvolle Form der Wiedergutmachung für die Opfer darstellen. Und so manches Unrecht lässt Wiedergutmachung und Vergebung tatsächlich unmöglich erscheinen, vor allem auf politischer Ebene. Zudem enthalten offizielle Entschuldigungen, auch aufgrund ihrer Einmaligkeit, immer auch den leisen Wunsch, die eigene Vergangenheit hinter sich zu lassen. Die Täter erhoffen sich einen Neuanfang, der ihnen allerdings nicht durch die Vergebung der Opfer, sondern vielmehr durch die vorgeblich selbstreflexive Auseinandersetzung mit den eigenen Taten gewährt wird. Hinter dem moralischen Vorbehalt einer Entschuldigung steht somit allzu oft die Sehnsucht nach Entlastung von den eigenen begangenen Verbrechen. So stellt der Film durch die Anhäufung der potentiell endlos weiterlaufenden Entschuldigungen auch das oft proklamierte „Nie wieder“ und das damit heraufbeschworene Versprechen — die Bereitschaft, die Notwendigkeit solcher Entschuldigungen zu verhindern — als seiner eigentlichen Bedeutung entleert bloß. Zwar werden “Nie wieder” Deutsche Juden im Holocaust ermorden, doch staatliche Verbrechen und Gräueltaten, die sich jeglichen universell zu beanspruchenden Menschenrechten widersetzen, haben kein Ende gefunden. Diese Tatsache gibt Hongs Film formal wieder, denn man wird dessen Logik auch dann nachvollziehen können, wenn man nur einen Bruchteil der eineinhalb Stunden gesehen hat. Die im Film chronologisch geordneten Aufzeichnungen enden im Jahr 2016, doch man weiß, dass die Entschuldigungen, und damit die Taten, kein Ende nehmen.

Die Effekte dieser öffentlichen Entschuldigungen, die Hong aneinanderreiht, manifestieren sich nach wie vor in der täuschenden Negativreferenz eines „Nie wieder“, das nicht über das Anbringen von Gedenktafeln und misslungene Rekontextualisierungen von problematischen Denkmälern hinausgeht. Zwar ebnen öffentlichkeitswirksame Entschuldigungen und das Eingeständnis der eigenen Verbrechen den Weg für eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und die Möglichkeit eines Diskurses, aber Hongs Apologies zeigt, dass es damit noch lange nicht getan ist.

Katharina Hoffmann

So they only talk the talk?

Der Akt des sich Entschuldigens bezweckt die Absicht der Schuldbekenntnis und die Bitte um das Verständnis oder die Nachsicht des Verhaltens. Das birgt das Verzeihen des Gegenübers mit sich, das allein durch diese Bitte die Tat neutralisieren soll und damit in die Vergangenheit versetzt wird. Jedoch stellt sich die Frage der Grenzen eines Vergehens, welches noch im Rahmen einer Entschuldigung tatsächlich verziehen werden kann. Die Bitte um Nachsicht und Verständnis gegenüber Gräueltaten wie Vergewaltigungen, Tötungsdelikten und Genoziden scheint damit von der Entschuldigung ausgeschlossen zu sein.

 

James T. Hong reiht politische Entschuldigungsreden auf und kristallisiert durch die kurzen Clips den in der Politik zum Ritual gewordenen Akt der Reue. Der daraus resultierende Film von 1,5 Stunden springt von einer Entschuldigung zur Nächsten, wodurch der Inhalt nach jedem weiteren Oberhaupt entkräftet wird. Man hört zum Schluss nur noch leere Versprechen. Der Glaube an die Veränderung, die Wiedergutmachung und die tatsächliche Reue wird in den Boden gestampft. Das Wort „apology“ wird entmachtet und das Gesagte wirkt nur noch wie eine Abfolge von Tönen. 

 

Die serielle Wiederholung der Aussage, die Bilder der Oberhäupter vor einem Mikrofon und die scheinbar emotionslose Wiedergabe der Entschuldigung führt zu der Frage, ob Worte überhaupt Macht in sich tragen können. Ist die Wiedergabe des Inhalts so entmachtet, dass nur mehr Taten den Inhalt deuten können? Was passiert eigentlich mit dem Glauben, der durch Inhalte kleine Hoffnungsschimmer heraufbeschwört, während die Umsetzung der Entschuldigung langsam ins Rollen gerät? Braucht es überhaupt noch Entschuldigungen? Die Kritik an der routiniert konzipierten Entschuldigungsrede findet durch Hongs Apologies v 2016.2, 2021 einen geeigneten Träger. Die Oberhäupter erscheinen lächerlich, als gehöre Reue zum täglichen Brot und die offizielle Entschuldigung wie ein weiterer Punkt auf der To-Do Liste.

 

Offen bleibt, wie Entschuldigungen tatsächlich die Opfer erreichen und was genau an diesen Reden verändert werden soll. Denn der erste Akt der Entschuldigung ist die Bitte der Wiedergutmachung. Die Kritik Hongs erscheint mir legitim, dennoch nicht konstruktiv. Durch die aneinander gereihten Clips wird der Gedanke evoziert, dass die offizielle Entschuldigung an die Opfer nicht wichtig erscheint. Vielleicht sollten die Reden nicht an die Opfer gerichtet sein und diese um Nachsicht bitten, sondern als Mahnreden an das Volk, den Schuldigen und als Agenda des Oberhaupts von Institutionen, dass solche Taten für immer in die Geschichte eingebrannt werden. Die Erinnerung an das Grauen der Taten und die serielle Mahnung sollten im Fokus stehen, anstatt der bloßen Akzeptanz einer einmaligen offiziellen Entschuldigung.

 

Hongs Video kritisiert diese Darstellung der Wirklichkeit. Jede symbolische Entschuldigung wirkt wie ein Massenprodukt, das durch die schnelle Konsumation obsolet erscheint. Brauchen wir überhaupt Entschuldigungen? Das Video vermittelt eine perspektivlose Zukunft, wo jeder Versuch einer Entschuldigung erfolglos erscheint. Jedoch ist der  Akt des Entschuldigens trotz des dargestellten Überflusses ein wichtiger Schritt für die Auseinandersetzung in der Menschheitsgeschichte, da diese zur Analyse von menschlichem Verhalten führt. Damit werden Eventualitäten von schrecklichem Handeln aufgezeigt, die sowohl  das Denken der Täter*innen als auch das unfassbar große Spektrum von traumatischen Taten umfassen.

 

Die gehäuften Reden wirken zusammengeschnitten zwar wie eine routinierte Performance, jedoch fungieren sie als Sichtbarmachen von menschlichen Verbrechen und gleichzeitig auch als Aufklärung von großer Ungerechtigkeit. Die breite Masse hat zumeist nicht die Ressourcen, sich mit den Missständen von Minderheitsgruppen auseinanderzusetzen. Die Problematik der Tat führt zu dem fehlenden Diskurs, der von großen Worten wie „Entschuldigung“ zumindest von der ersten Kenntnisnahme der Tat zeugt. Die Aufarbeitung, das Wiedergutmachen und die wiederholte Reue an Gedenktagen führen Schrittweise zu einem Handeln. Das „Nie wieder“ braucht die Konsequenz der Erinnerung, der ständigen Reue und der wiederholten Bitte um Vergebung. Die Umsetzung von „Nie -Wieder“ ist eine Handlungsform, die zwar nie vollkommen erfüllt werden kann, jedoch als Leitmotiv für die Handlungsräume von Institutionen fungiert. Eine Entschuldigung sensibilisiert Institutionen für Taten, die infolgedessen bestraft werden.

 

Sind die Inhalte der Reue nicht mehr relevant? Sollte man ihnen nicht zuhören? Die Kritik an der Entschuldigung lässt zudem die Arbeit von vielen aufklärerischen Organisationen in den Hintergrund rücken, die für die Anerkennung der Gräueltaten kämpfen. Zudem repräsentiert die Entschuldigung nicht nur die eines Oberhauptes, sondern gar ganzer Institutionen, Gesellschaften und Ländern gegenüber den Opfern.

 

Auch die Länge von 1,5 Stunden ist erstaunlich und lässt mich fragen, wie viele Entschuldigungen noch nicht ausgesprochen wurden. Denn jede Entschuldigung ist trotz allem das Resultat der Erkenntnis einer Tat und die Erweiterung des Katalogs von menschlichem Fehlverhalten, die zukünftige Bestrafung mit sich zieht. Auch wenn Hong durch das serielle Aneinanderreihen die Lächerlichkeit des gestellten Rituals von offiziellen Institutionen sichtbar macht, suggeriert er dadurch ein Weglassen solcher offiziellen Entschuldigungen. Zudem lässt er die Hoffnung auf Veränderung außer Acht, die selbst bei einer erzwungenen Entschuldigung aufkommt. Und hier spricht der Optimismus aus mir, denn was wären wir ohne ein bisschen Hoffnung nach einer halb ernst gemeinten Entschuldigung?

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